Das Königshaus der Monster
der sie häufig und wie aus einem inneren Zwang heraus saugte – wie ein Baby, das in blinder Abhängigkeit von der mütterlichen Brustwarze einfach nicht davon lassen kann. Wie gewöhnlich war sie in Schweiß gebadet, und an den besonders verschwitzten Stellen ihres Kleides breiteten sich dunkle Flecken aus.
»Hallo!«, sagte ich, während mir plötzlich klar wurde, dass ich mich nicht an ihren Namen erinnern konnte. Pam? Pat? Paula? Wie oft er mir auch schon genannt worden war, ich konnte ihn einfach nicht behalten.
Die einzige Antwort der dicken Frau bestand in einem unverständlichen, kurzen Gemurmel.
»Das ist Barbara«, sagte ich – vielleicht etwas zu laut und betont. »Sie hat gerade oben angefangen.«
Die Frau gab ein weiteres undefinierbares Geräusch von sich (»hrallo«?) und griff aufs Neue nach der Colaflasche.
Auf dem Weg zum Ausgang flüsterte Barbara mir zu: »Was ist denn los mit ihr?«
»Keiner will so recht danach fragen. Eigentlich ist das sehr traurig, denn die Ärmste sitzt schon länger hier, als irgendjemand zurückdenken kann. Sie gehört praktisch schon zum Mobiliar.«
»Gehören tut sie wohl eher in eine geschlossene Anstalt, so wie sie aussieht«, bemerkte Barbara ziemlich roh.
Von einem merkwürdigen Zwang beherrscht, wandte ich mich um. In der Hand die Colaflasche auf halbem Weg zum Mund, starrte uns die Frau nach; wilder Zorn zuckte über ihre teigigen Gesichtszüge.
Ich spürte, wie ich, erfüllt von einem plötzlichen Schuldgefühl, schamrot wurde, und drängte Barbara eilig aus der Tür, weg vom griesgrämigen Summen der Ventilatoren, dem durchdringenden Schweißgeruch und den vorwurfsvoll funkelnden Augen der dicken Frau. Spürbar erleichtert fuhren wir beide wieder nach oben.
Zum Mittagessen traf ich mich mit Mama im Café Nero.
»Wie lange bist du denn gestern noch geblieben?«, fragte sie, während sie ihren Milchkaffee schlürfte.
Ich dachte kurz daran, ihr von der Sache mit dem Fensterputzer zu erzählen, aber da ich stark vermutete, wie sie darauf reagieren würde, sah ich davon ab. »Nicht lang. Ich konnte ja ohnehin nichts tun.«
»Es war nur eine Frage der Zeit«, stellte sie fest. »Wir wissen alle, dass er gern tief ins Glas geschaut hat.«
»Wird er wieder?«, fragte ich mit ganz kleiner Stimme.
Mama zuckte nur die Schultern. »Wer kann das wissen?« Sie gähnte. »Hab ein Auge auf ihn, ja? Dein Paps würde sich das von dir wünschen.«
»Ich fahre heute Abend wieder zu ihm.«
»Ehrlich?« Es schien sie zu überraschen.
»Ich möchte bei ihm sein. Er hat ja sonst niemanden.«
»Und wem ist das wohl zuzuschreiben, hm? Also, eigentlich, mein Lieber, habe ich gehofft, dich um einen Gefallen bitten zu können.«
Damit wurde das Motiv für unser gemeinsames Mittagessen glasklar. »Um welchen denn?«
»Sein Haus. Weiß Gott, warum, aber ich habe dazu die Reserveschlüssel. Sei ein Schatz und mach in den nächsten Tagen einen Sprung hin, ja? Einfach, um sicher zu sein, dass keine Einbrecher da waren.« Mit einem resoluten Klackern wurden die Schlüssel auf dem Tisch abgelegt, als wäre die Sache damit erledigt und jede weitere Diskussion überflüssig.
»Wir könnten gemeinsam hingehen«, schlug ich hoffnungsvoll vor.
»Schätzchen, ich fahre weg.«
»Weg?«
»Nach Gibraltar. Mit Gordy.«
Ich stellte meine Kaffeetasse hin, um nichts zu verschütten. »Wer ist Gordy?«
»Ein guter Freund. Keine Sorge, mein Lieber, er ist auch in der Branche.«
»Doch nicht schon wieder ein Schauspieler?«
»Genau genommen Produzent. Er hat ein phantastisches Hotel für uns gebucht.«
»Toll.«
»Guck nicht so geknickt«, sagte sie. »Ich bin glücklich. Hab du nur mittlerweile ein Auge auf den alten Lumpensack, ja? Und klingle uns an, falls irgendwas passiert.«
Ich starrte auf die Reste meines Sandwiches und nickte.
In Mamas Handtasche begann es zu trillern. Sie holte das Handy heraus und presste es sich ans Ohr. »Gordy! Nein, ich bin immer noch bei ihm.« Kichernd warf sie mir einen Blick zu. »Gordy sagt hallo!«
»Hallo, Gordy«, sagte ich.
»Nein, nein!« Sie wechselte über zu einem Kleinmädchentonfall. »Ich glaube, er ist momentan ziemlich schlecht drauf, wegen seines Großvaters.« Sie stand auf, küsste mich auf die Stirn, winkte mir zum Abschied zu und ging aus dem Café auf die Straße, wobei sie ohne Unterlass ihre sinnlosen Nichtigkeiten in den Äther und in die Welt hinausbrüllte.
Ich betrachtete das, was von meinem Sandwich noch
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