Das Königshaus der Monster
stemmte ich mich aus dem Bett, durchforstete den Kühlschrank nach einem geeigneten Frühstück und lungerte noch ein wenig herum in der Hoffnung, vor dem Gehen einen Blick auf Abbey erhaschen zu können. Und wie sonst auch verließ ich enttäuscht das Haus.
Ich hatte mein Fahrrad auf dem Parkplatz der Registratur zurückgelassen, also musste ich zur U-Bahn laufen und acht Stationen lang auf der Northern Line meinen Stehplatz behaupten, umweht von altem Schweiß und schlechten Mundgerüchen. Ich kam, immer noch verschlafen, zu spät zur Arbeit und verzog mich augenblicklich aufs Herren-WC.
Ich war gerade damit beschäftigt, mir kaltes Wasser ins Gesicht zu schwappen, als Peter Hickey-Brown aus einer der Kabinen trat. Er zog einen Kamm von der Sorte, die aussieht wie ein Klappmesser, aus der Tasche und machte sich daran, sich mit größter Sorgfalt die langen grauen Haare zurückzukämmen. Er hatte keinen Blick für mich, sondern starrte nur selbstverliebt in den Spiegel – ein schmerbäuchiger Narziss auf der Personaltoilette.
»Wie macht sich Babs so?«, fragte er mich, nachdem er sich ausgiebig von allen Seiten betrachtet hatte.
»Ganz gut, denke ich.«
»Hast du gestern noch einen Rundgang mit ihr gemacht?«
Ich sagte ja, natürlich hätte ich das.
»Hast du ihr auch den Postraum gezeigt?«
Den Postraum? »Nein, wozu?«
»Ich finde, sie sollte ihn sehen.«
»Ich bin nicht gern da unten.«
»Na und? Mach dir nicht in die Hosen, Henry. Zeig ihn ihr einfach, ja?« Er schnippte den Kaltwasserhebel hoch, benetzte die Finger und strich sich die Haare an den Schläfen hinter die Ohren. »Von Phil hörte ich, du wärst gestern ganz plötzlich davongestürzt.«
»Familiärer Notfall.«
Hickey-Brown runzelte die Stirn – nicht aus Besorgtheit um meine Person, sondern einzig und allein aus Furcht, die Arbeit in seiner Dienststelle könnte ihren gewohnten Gang verlieren, weil ich mit seiner kostbaren Registratur in Rückstand geriet; die Vorstellung, wie wir alle unter einer Lawine uralter Personalbögen und leichenfarbiger Sitzungsprotokolle begraben würden, falls ich meine Aufgaben nicht erledigte, jagte ihm vermutlich einen lähmenden Schrecken ein.
»Alles in Ordnung?«, fragte er.
»Ich weiß nicht«, sagte ich. »Ehrlich, ich weiß es nicht.«
»Jetzt wartet ein Extravergnügen auf Sie«, sagte ich zu Barbara, nachdem ich ihrer Spur bis zum Fotokopierer gefolgt war. »Peter möchte, dass Sie den Postraum kennenlernen.«
Der Postraum lag im untersten Stockwerk des Gebäudes – übel riechend, einsam und ungeliebt. Die Heizung ließ sich kaum drosseln, sodass es immerzu heiß und feucht da unten war. Nur noch ein paar Wochen bis Weihnachten, und auf allen Tischen liefen die Ventilatoren, surrten missgelaunt und murrten, weil sie sich außerhalb der Sommersaison so abrackern mussten. Die Luft stank widerwärtig – eine beklemmende Mischung aus menschlichen Ausdünstungen und alten Socken.
»Das ist der Ort, wo alles seinen Anfang nimmt«, sagte ich. Ich hatte die Führung schon einmal gemacht, letztes Jahr für eine Gruppe Kinder am »Zeig dem Nachwuchs deinen Arbeitsplatz!«-Tag. »Hier werden die Posteingänge geordnet.«
Vier große, einfache Tische, auf denen sich bräunliche Faltmappen türmten, nahmen fast den ganzen Raum ein; an allen arbeiteten drei oder vier Leute, mit Ausnahme des letzten Tisches, über den nur eine einzige Person gebot. Einige dieser Unglücklichen, deren pickelige Gesichter vor Schweiß glänzten, sahen gleichgültig auf, als wir eintraten. Sie sortierten die Eingänge, zogen hier ein Memo hervor, dort eine Aktennotiz, einen Vortragsentwurf, eine Grafik oder einen Jahresbericht, und reihten alles in alphabetische Ordnung, bevor sie es auf einem Wägelchen deponierten. Später würde jemand die Wägelchen zum Lift rollen und sie auf die Stockwerke oben verteilen. Aber dies hier war sozusagen der Maschinenraum der Dienststelle, das Herz des ganzen Komplexes.
»Häufiger Personalwechsel hier«, erklärte ich. »Die Leute halten es meist nicht lange aus.« Ich zeigte hinüber zu der Frau, die allein am letzten Tisch saß, wo sie Paket auf Paket öffnete, den Inhalt zügig und routiniert aufteilte und ihn mit Banderolen versah. »Bis auf sie.«
Aufgedunsen, ja geradezu unförmig hockte sie da mit ihren Wurstfingern, dem glatten, fettigen Haar und dem fleischigen Gesicht, das an die Konsistenz von Gallert denken ließ. Neben ihr stand eine riesige Flasche Cola, an
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