Das Königshaus der Monster
Fleck rühren.
»Die Antwort ist ›ja‹.«
Er rappelte sich auf seiner Trage hoch und versuchte zu schreien: »Die Antwort ist ›ja‹!«
Ich nehme an, dass es ungewöhnlich ist, sich auf Armeslänge den Dreißigern zu nähern und noch nie verliebt gewesen zu sein. Dazu kann ich nur sagen, dass sich das Warten auszahlt.
Ich hatte Abbey sechs Monate zuvor kennengelernt, als ich, nachdem ich ihre Annonce in der Rubrik »Zu vermieten« im Stadtanzeiger gelesen hatte, zu ihr fuhr, um mich nach dem freien Einzelzimmer zu erkundigen. Von dem Moment an, als sie die Tür öffnete, wusste ich, dass ich mir nie wünschen würde, mein Leben mit jemand anderem zu teilen. Entmutigt musste ich jedoch auch feststellen, dass sie strahlend schön war, eine schimmernde Märchengestalt in hautengen Jeans und kanariengelben hochhackigen Schuhen und daher Lichtjahre von meiner Liga entfernt.
Als ich – nachdem ich einem Dutzend Leute berichtet hatte, wie mir der Fensterputzer mit diesem unvergesslichen Platsch! vor die Füße gefallen war – endlich nach Hause kam, saß sie im Wohnzimmer, hingegossen vor unserem Fernsehapparat, einer uralten Kiste, die, so sagt Abbey, bereits da gestanden hatte, als sie die Wohnung kaufte.
Sie wirkte müde und zerzaust und futterte sich verbissen durch einen Teller Ofenfritten, wobei sie es dennoch schaffte, ein so hinreißendes Bild abzugeben, dass es mir bei ihrem Anblick einen Stich ins Herz versetzte.
Ich sagte guten Abend, und beim Klang meiner Stimme kämpfte sich meine Zimmerwirtin in eine aufrechte Position. »Setz dich«, sagte sie kauend, griff nach der Fernbedienung und schaltete den Fernseher ab. »Ich hab dich ja seit Tagen nicht gesehen.« Sie schob den Teller vor mich hin. »Greif zu.«
»O nein, danke.«
»Bitte! Ich kann nicht mehr.«
»Wirklich, ich brauche nichts.«
»Hast du schon gegessen?«
»Eigentlich nicht, aber …«
»Dann nimm dir eine Fritte.«
»Ehrlich?«
»Klar.«
»Vielleicht eine. Vielen Dank.«
»Nichts zu danken.«
Ich nahm eine Fritte.
»Wie war dein Tag?«, fragte Abbey, worauf ich zum ersten Mal seit beinahe einem Jahrzehnt in Tränen ausbrach.
Danach plauderten wir. Ich erzählte ihr von Großvater, vom Anruf meiner Mutter und von dem Mann, der vom Himmel gefallen war, während ich mir unaufhörlich mit einem Papiertaschentuch die Nase abtupfte. Sie zeigte Mitgefühl und machte einmal sogar eine unbeholfene Bewegung auf mich zu – ganz so, als wollte sie Anstalten machen, mich zu umarmen –, aber ich zuckte unwillkürlich zurück, und sie rückte wieder ab von mir.
»Henry?«, sagte sie, nachdem ich meine Geschichte beendet hatte; ihr Tonfall klang stark nach dem Bestreben, mich aufzuheitern.
»Ja?«
»Wann hast du Geburtstag? Du sagtest, er wäre bald.«
»Oh.« Ich hatte ihn fast vergessen. »Am Montag. Warum?«
»Es fiel mir nur gerade ein.« Sie hob eine Augenbraue und schien noch etwas sagen zu wollen, als das Telefon klingelte.
»Ich gehe ran«, seufzte sie und hob ab. Doch dann sah sie mich an. »Es ist für dich.«
Mit gerunzelter Stirn ergriff ich den Hörer. »Hallo?«
»Mister Lamb?« Ich kannte die Stimme nicht; sie schien einer älteren Frau zu gehören – knapp und bestimmt, doch von einer Spur Zerbrechlichkeit durchzogen. »Mister Henry Lamb?«
»Ja?«
»Ich wünsche einen guten Abend, Mister Lamb. Ich rufe im Auftrag der Firma Gadarene-Glas an und möchte Sie fragen, ob Sie am Einbau neuer Fenster interessiert wären.«
»Nun, ich bin nicht der Wohnungsbesitzer«, sagte ich, »nur der Untermieter. Wie auch immer, ich denke, die Antwort ist nein. Und es wäre uns lieb, wenn Sie in Zukunft nicht so spät anriefen. Eigentlich wäre es uns lieb, Sie würden überhaupt nicht mehr anrufen!« Die Frau stieß ein aufgebrachtes »Ts-ts-ts« aus und legte auf.
»Wollte sie dir was verkaufen?«
»Doppelfenster, denke ich. Nichts Wichtiges.«
»Ach so.« Sie versuchte es mit einem hoffnungsvollen Lächeln. Ich lächelte zurück, und eine Minute standen wir da wie zwei Vollidioten, die einander angrinsten; offenbar fühlten wir uns beide ein wenig albern und schwindlig von dieser ganzen unerwarteten Nähe. Und wir ahnten noch nichts von dem Horror, der in diesem Moment schon an der Tür scharrte.
VIER
Anfangs schien der nächste Tag nicht anders zu werden als alle übrigen.
Wie sonst auch erwachte ich ein paar Sekunden, bevor mein Wecker mir sein »Guten Morgen« in die Ohren brüllte. Wie sonst auch
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