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Das Königshaus der Monster

Titel: Das Königshaus der Monster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Barnes
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übrig war, und schob den Teller zur Seite; mein Appetit hatte sich verflüchtigt.
     
    Ich war kaum zurück an meinem Schreibtisch, als Peter Hickey-Brown mich in sein Büro bestellte.
    Neben ihm saß ein Fremder mit einem hellhäutigen Kindergesicht; er war beneidenswert gut gebaut und strotzte geradezu vor Gesundheit – ein fleischgewordener Werbespot für sorgfältige Körperpflege. Als ich eintrat, sah er mich an, ohne zu lächeln, starrte nur schweigend in meine Richtung.
    »Du wolltest mich sehen?«, fragte ich.
    Mit uncharakteristisch ernster Miene forderte Hickey-Brown mich auf, Platz zu nehmen. Es überraschte mich festzustellen, dass er seit dem Morgen eine Krawatte umgebunden und fast seine gesamte Schmuckkollektion abgelegt hatte. »Dies ist Mister Jasper.«
    Ich streckte die Hand über den Schreibtisch. »Hallo.«
    Der Mann starrte die Hand nur an. Ich bemerkte, dass tief in seinem Ohr ein fleischfarbenes Plastikteil steckte, und erinnere mich, dass ich annahm, er höre wohl schlecht. (Wie naiv mir das jetzt vorkommt!)
    »Mein Name ist Henry Lamb.«
    Noch immer nichts.
    Verlegen zog ich meine Hand zurück.
    Peter räusperte sich. »Mister Jasper kommt von einer anderen Abteilung.«
    »Und von welcher?«, fragte ich.
    Hickey-Brown sah aus, als wüsste er das eigentlich selbst nicht. »Eine Spezialabteilung. Wie ich hörte, hat sie ein Auge auf das persönliche Wohlbefinden unserer Mitarbeiter.«
    Jetzt schließlich fand der Fremde seine Stimme. »Wir betrachten uns gern«, sagte er, ohne eine Miene zu verziehen, »als die Abteilung mit Herz.«
    Hickey-Brown faltete die Hände wie zum Gebet und sah mich an. »Hör zu, wir wissen, dass gestern etwas passiert ist. Etwas, das mit deinem Großvater zu tun hat.«
    Der Mann, der mir als Mister Jasper vorgestellt worden war, durchbohrte mich mit einem eisigen Blick. »Was fehlt denn dem armen Alterchen?«
    »In der Klinik hält man es für einen Schlaganfall.« Mühsam widerstand ich der Versuchung zu fragen, was, zum Geier, ihn das anging.
    »Wie sind die Aussichten, dass er wieder gesund wird?«
    »Die Ärzte können nichts sagen. Ich persönlich halte es für unwahrscheinlich.«
    Mister Jaspers Augen blieben auf mir ruhen, aber er war verstummt.
    Ich sah hinüber zu meinem Boss. »Peter?«
    Er brachte ein unaufrichtiges Lächeln zustande. »Wir machen uns Sorgen um dich. Wir müssen wissen, dass du damit zurechtkommst.«
    »Alles bestens.«
    »Klar. Aber hör zu, wenn du dir freinehmen willst, dann sag es einfach. Immer heraus damit, ja?«
    »Natürlich.«
    Jasper starrte mich immer noch kalt und ausdruckslos an.
    »Ist das alles?«, fragte ich.
    Hickey-Brown schielte hinüber zu Jasper, und der Fremde reagierte mit einem fast unmerklichen Neigen des Kopfes – einer Bewegung, die, im richtigen Licht und wenn man die Augen ein wenig zusammenkniff, als Nicken durchgehen mochte.
    »Gut, gut, gut, gut«, sagte Peter Hickey-Brown, »du kannst wieder loslegen.«
    Als ich hinausging, spürte ich die mitleidlosen Augen des Fremden in meinem Rücken wie Laserstrahlen.
     
    Nach der Arbeit holte ich mein Rad und fuhr zur Klinik. Großvaters Zustand war unverändert, aber wenigstens ging es ihm nicht schlechter; ich hatte auch nicht den Eindruck, dass er unter Schmerzen litt. Ich hielt seine Hand und erzählte ihm von meinem Arbeitstag, von der dicken Frau im Kellergeschoss, meinem Mittagessen mit Mama und Mister Jaspers Besuch.
    Dann vernahm ich ein Geräusch hinter mir. Die Krankenschwester. »Jetzt erkennen Sie Ihren Großvater?«
    Ich spürte, wie mir die Schamesröte ins Gesicht stieg.
    »Er sieht traurig aus«, sagte sie.
    »Traurig?«
    »Er war im Krieg.«
    »Eigentlich«, widersprach ich ihr, »war Großvater nie bei den Soldaten. Er wollte zwar, aber sie ließen ihn nicht. Irgendein Herzfehler, glaube ich.«
    Die Schwester lächelte nur. »O doch, er war im Krieg. Ganz bestimmt im Krieg.« Sie drehte sich um und ging eilig davon. Die Sohlen ihrer Schuhe quietschten auf dem Linoleum.
    Ich blickte hinab auf Großvater. »Du warst doch nicht im Krieg, oder?«, fragte ich, obwohl mir natürlich klar war, dass ich keine Antwort bekommen würde. »In welchem Krieg denn?«
     
    Eine halbe Stunde später, nach dem Ende der Besuchszeit, als ich wieder im Erdgeschoss und der Ausgang schon in Sicht war, erblickte ich einen Patienten, den ich kannte. Er wirkte ganz fröhlich, saß an ein Kissen gelehnt aufrecht im Bett und war in ein Boulevardblatt vertieft; sein linkes

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