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Das Königshaus der Monster

Titel: Das Königshaus der Monster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Barnes
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haben weder Moral noch Gewissen. Verschließen Sie die Ohren vor ihren Lügen und bösartig verdrehten Wahrheiten. Geben Sie nichts von sich selbst preis. Stellen Sie nur einfach Ihre Fragen. Hart und ohne Unterlass. Die beiden werden Ihnen ganz sicher irgendeinen Handel vorschlagen, aber der Preis, den sie verlangen, ist stets zu hoch.« Sie legte Großvaters Arm mit dem dazugehörigen, mutlos herabhängenden Plastikschlauch zurück auf seine Brust. »Wie auch er es schließlich erkennen musste, denke ich.«
    Ich bemerkte, dass sie weinte.
    Hoffnungslos ungeschickt wie immer, wenn ich mit offenen Gefühlsausbrüchen konfrontiert bin, legte ich ihr die Hand auf die Schulter und suchte verzweifelt nach den üblichen Gemeinplätzen, die man in so einem Fall von sich gibt. »Bitte«, murmelte ich. »Er würde nicht wollen, dass Sie um ihn weinen.«
    »Ich weine nicht um ihn«, sagte sie, während ihr die Tränen ungehindert über die Wangen liefen. »Ich weine um Sie.« Sie schniefte und wischte sich über die Augen. »Ich weine um all das, was mit Ihnen geschehen wird.«

 

     
    Genug von Henry Lambs hilflosem Geschwätz. Jedoch sollte ich nebenbei noch darauf hinweisen, dass ein Großteil der Konversation in dem chinesischen Restaurant reine Erfindung ist: Das bedauernswerte Mädchen wollte nur einen unerwünschten Verehrer loswerden und glimpflich mit dem Trottel verfahren. Doch der arme Henry war ohne jeden Zweifel derart hingerissen von ihrer wohlgestalten Silhouette, dass ihm erst dann bewusst wurde, der jungen Dame seit jeher in höchstem Maße gleichgültig zu sein, als es zu spät war.
     
    Erschöpft von den Unruhen und Streifzügen der vergangenen Nacht, hatte sich der Prinz von Wales früh zu Bett begeben. Wie der Idiot Lamb nach seinem ersten Zusammentreffen mit Dedlock, hatte auch er sein Bestes versucht, die Episode als lebhaften Traum oder einen ganz besonders unlustigen Streich abzutun, nur um sich von einem Vorfall beim Mittagessen mit aufrüttelnder Wucht die Realität der Situation vor Augen führen zu lassen. Auf seine Bitte um Informationen hatte seine Mutter in Form der Übersendung eines weißen Kärtchens reagiert, das zu einem Viertel vom königlichen Wappen in Gold und einer Auflistung ihrer sämtlichen Ränge und Titel eingenommen wurde. Darunter standen in zittrigen Großbuchstaben folgende vier Worte:
     
    STREATER IST DIE ZUKUNFT
     
    So war es also ein müder und verwirrter Arthur Windsor, der kurz nach neun Uhr abends, gehüllt in den von Silverman eigenhändig gebügelten Pyjama und seine Rider-Haggard-Anthologie in der Hand, dem muskulösen Diener, der vor seiner Schlafzimmertür Wache hielt, gute Nacht sagte, sich ins Bett verfrachtete und behaglich in ein Kissen kuschelte.
    Er zweifelte nicht daran, allein schlafen zu müssen. Laetitia hatte ihm via Silverman ausrichten lassen, dass sie wünsche, die Nacht in ihren Privatgemächern zu verbringen – ein mit zunehmender Häufigkeit wiederkehrendes Vorkommnis, das Arthur symptomatisch für das Versanden ihres Begehrens erschien. Eineinhalb Kapitel vor dem Ende von She knickte der Prinz die obere Ecke der Seite um, klappte das Buch zu und legte es auf den Nachttisch. Er knipste die Lampe aus und schlief Minuten später ein.
    Als er die Augen wieder öffnete, wurde ihm sofort bewusst, dass er sich nicht allein im Raum befand – und dass es ihr Eintreten gewesen war, das ihn geweckt hatte. Es war nicht stockdunkel, und das Wenige an Helligkeit reichte aus, um eine vertraute Silhouette wahrzunehmen.
    »Laetitia?«, sagte er, mit einem Mal voll Hoffnung – und erregt. »Hast du es dir doch anders überlegt?«
    Als die Gestalt näher kam, vernahm er die seidige Melodie ihres erotischsten Nachthemdes, roch den Hauch jenes Parfums, das sie in den ersten Tagen ihrer jungen Liebe getragen hatte, und schloss die Augen in genießerischer Vorfreude auf das, was kommen sollte – ihre weiche Zunge auf seiner Haut, die sanften Hände, die sich über seinen Körper hinweg nach unten bewegten.
    Nichts. Absolut nichts.
    »Liebling?«, flüsterte er. »Es ist schon viel zu lange her! Quäl mich nicht so!«
    Immer noch nichts. Sogar ihr Duft war jetzt verschwunden.
    Arthur richtete sich abrupt auf drückte den Schalter der Lampe, schlug die Decke zurück und stand auf. Er warf sich den weiten Morgenmantel über und riss die Tür auf.
    Ein Mann stand Wache. »Abend, Sir.«
    Der Prinz blinzelte und suchte fieberhaft nach dem Namen. »Tom, nicht

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