Das Königshaus der Monster
Lamb.«
»Die Dominomänner? Steerforth hat sie so genannt.«
»Die ganze Menschheitsgeschichte ist nur ein Spiel für sie, und jedes Leben ein Stein darin. Ihre Waffen sind unsere Selbstsucht, unsere Habgier und unsere Wollust. Mit unendlicher Geduld stellen sie uns über Tage und Wochen hinweg zu langen Reihen auf, um uns schließlich mit einem Fingerschnippen zu Fall zu bringen – einen nach dem anderen; und dazu klatschen sie entzückt in die Hände. Sie waren überall dabei – in Maiwand, in Sewastopol und Balaklava, in Kabul, Rourke’s Drift und Waterloo. Und während die Menschen rundum zu Tausenden starben, lachten diese Kreaturen ohne Unterlass – darauf kann ich Ihnen mein Wort geben, Mister Lamb.«
»Das beantwortet meine Frage nicht ganz«, sagte ich, unfähig, mein Gefühl der Ohnmacht zu verbergen. »Wer oder was sind diese Leute?«
»Söldner. Wer immer dafür bezahlt, kann ihre Dienste in Anspruch nehmen. Doch zu diesem gegenwärtigen Zeitpunkt sind sie zufällig auch der Schlüssel für eine Beendigung des Krieges. Jetzt, wo Ihr Großvater nicht mehr unter uns ist, sind sie die Einzigen, die wissen, wo sich Estella befindet.«
»Und das ist schon die nächste Sache«, rief ich, in Fahrt gekommen. »Wer, um alles in der Welt, ist diese Frau? Warum ist sie so wichtig? Dedlock will es mir nicht sagen!«
Ein grimmiges Lächeln legte sich um die Lippen der alten Dame. »Mister Dedlock liebt Geheimnisse. Er hortet sie unter der Matratze wie ein Geizhals seine Geldscheine.«
»Bitte …«
»Na gut.« Miss Morning räusperte sich. »Estella war eine von uns.«
»Sie meinen, sie hat für das Direktorium gearbeitet?«
»Sie war die beste Agentin, die wir je hatten. Leidenschaftlich, elegant, mörderisch. Ein wunderhübscher Tod im Trenchcoat. Aber wir hatten sie seit vielen Jahren verloren.«
»Großvater wusste, wo sie ist. Das höre ich unentwegt.«
Miss Morning nickte. »Er war es ja, der sie vor uns versteckte.«
»Wie? Warum?«
»Weil er sie in Sicherheit wissen wollte. Weil ihm manches wichtiger war als selbst der Krieg.«
Ich spürte, dass Miss Morning ungeduldig wurde, und vielleicht hätte ich sie nicht weiter bedrängen sollen, aber ich musste es einfach erfahren. »Da ist etwas, das Sie mir nicht sagen wollen.«
Die alte Dame sprach sehr leise, um von jenen Kreaturen, deren fischäugige Blicke sie auf uns gerichtet glaubte, nicht gehört zu werden, aber mir war bewusst, dass sie ihre Antwort am liebsten laut herausgeschrien hätte. »Ich denke, er hat sie geliebt«, sagte sie. »Er liebte sie mit einer so glühenden Hingabe, wie man ihr für gewöhnlich nur in der Dichtkunst begegnet.«
Ich dachte an meine Großmama, deren mürrisches Gesicht ich nur von alten Fotografien her kannte, und an ein paar halb vergessene Familiengeschichtchen und fragte mich nicht zum ersten Mal, ob ich Großvater denn überhaupt gekannt hatte. Ein weiterer Verrat, nehme ich an – ein Treubruch des Herzens.
»Die Klinik ist ganz in der Nähe«, sagte Miss Morning. »Ich glaube, jetzt würde ich ihn gern sehen.«
Eine Viertelstunde später waren wir dort. Die alte Dame, schon müde von unserer Wanderung durch den Park, wirkte mit einem Mal noch weitaus älter als zuvor, und ich sann darüber nach, wie viel von ihrer üblichen Erscheinung wohl nur Fassade war – aufrechterhalten allein durch schiere Willenskraft. Ich führte sie durch die langen Korridore des Krankenhauses, und als sie den alten Lumpensack erblickte, wie er so flach und reglos dalag, als hätte man ihn schon für den Leichenbestatter vorbereitet, wankte sie – wie erschöpft nach einem langen Lauf – in meine Arme. Ich holte uns zwei Stühle, und wir setzten uns an seine Seite. Sie nahm seine Hand in die ihre.
Die Szene erinnerte mich an damals, vor vielen Jahren, als ich selbst in einer Klinik gelegen hatte, als ich krank gewesen war und diese Operationen über mich ergehen lassen musste: Da war ich an Großvaters Stelle gewesen und er an meiner; und er hatte liebevoll aus einiger Entfernung zugesehen, wie Mama meine Hand ergriff und sie fest drückte.
Mit unbewegter Miene starrte Miss Morning meinen Großvater an. »Du verrückter alter Kerl«, murmelte sie. Sie wandte das Gesicht ein wenig in meine Richtung, ohne den Blick von Großvater abzuwenden. »Werden Sie die Präfekten wiedersehen?«
»Ja, heute Abend. So wie es aussieht, habe ich wohl keine andere Wahl.«
»Geben Sie auf sich acht, Henry. Die Dominomänner
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