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Das Königshaus der Monster

Titel: Das Königshaus der Monster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Barnes
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meinem Haar, ihren Atem auf meiner Haut.
    »Abbey?«
    Das Wasser war vergessen, hastig auf dem Tisch abgestellt, und mit einem Mal küsste sie mich auf den Nacken, die Wange, die Schläfe; für einen kurzen Augenblick flitzte ihre Zunge in mein Ohr, und mich durchlief ein lustvoller Schauer.
    »Du tust mir leid«, hauchte sie. »Mein armer Henry.«
    Sie schob sich um mich herum und setzte sich auf meinen Schoß.
    »Abbey?«
    »Schsch!« Sie küsste mich energisch auf den Mund, und ich reagierte entsprechend (nach bestem Wissen eben).
    »Ich hätte nicht gedacht, dass ich solche Gefühle für dich haben würde«, sagte sie, als wir schließlich Luft schnappen mussten, »jedenfalls nicht so bald. Aber du hast irgendetwas an dir …«
    Halb beschwipst von der Atmosphäre, riskierte ich einen Scherz: »Ganz klar, ich bin eben unwiderstehlich.«
    »Schweif nicht ab!«, schalt sie, legte ihre Hand auf meine und führte sie unter ihr T-Shirt.
    Tief im Bauch verspürte ich das gleiche Schlingern von Panik, das mir von unserem ersten Kuss her in Erinnerung war: die Kopflosigkeit, die heimtückische Angst, den Erwartungen nicht gewachsen zu sein.
    »Bist du sicher?«, fragte ich.
    Sie küsste mich erneut, ich küsste sie ebenfalls und fing gerade an, mich zu entspannen und Freude an der Sache zu haben, als mein Hirn mit einem Ruck in diese grässliche Zelle zurückgerissen wurde, zu den beiden Scheusalen im Kreidekreis mit ihrem pausenlosen Gegacker und Geschnatter.
    Als ich die Augen wieder öffnete, saß Abbey nicht mehr auf meinem Schoß, sondern stand neben mir, besorgt und betroffen, und strich sich das T-Shirt glatt.
    »Was ist denn los?«, fragte sie.
    »Es tut mir leid«, sagte ich, »ich hätte wirklich gern …«
    »Ist schon gut.«
    »Ich wollte dich nicht enttäuschen …«
    »Das tust du nicht«, sagte sie, doch ich hätte mir etwas vorgemacht, wäre mir die Frustration, die in ihrer Stimme mitschwang, nicht aufgefallen.
    »Es war ein langer Tag für mich. Und es ist viel passiert.«
    »Natürlich.«
    »Und … o Gott …!« Ein Mittelding zwischen einem Schluchzen und dem unwiderstehlichen Drang, mich zu übergeben, wollte sich durch meinen Körper hochzwängen – die hinabgewürgte, schwerverdauliche Wahrheit.
    Abbey strich mir das Haar zurück, hielt mich fest und flüsterte mir ins Ohr: »Was ist es? Was ist los?«
    »Entschuldige.« Ich schluckte die Tränen hinunter. »Aber ich kann nicht aufhören, an etwas Bestimmtes zu denken. Etwas aus meiner Vergangenheit.«
    Abbey küsste mich auf die Stirn. »Dann lass es raus.«
    »Ich muss dir erzählen …« Meine Nase lief, und ich spürte, wie sich Trauer und Wut in mir breitmachten. »Ich muss dir erzählen, wie mein Vater starb.«

 

     
    Am nächsten Morgen erwachte der Thronfolger, als Silverman sich über ihn beugte, das Frühstückstablett in Händen – eine große Kanne Tee, eine Mappe mit der Korrespondenz und die neueste Ausgabe der Times, alles zusammen mit einer routinierten Geschicklichkeit balancierend, die man nur durch jahrzehntelanges Üben erlangen kann.
    »Königliche Hoheit! Guten Morgen, Sir.«
    Arthur schlängelte sich hoch. »Würden Sie mir bitte das Kissen in den Rücken schieben, Silverman.«
    Gehorsam klopfte der Diener das Kissen zurecht.
    »Ich habe noch Schlaf in den Augen«, stellte der Prinz fest.
    Mit großer Vorsicht holte Silverman die Körnchen, die sich über Nacht gebildet hatten, aus Arthurs Augenwinkeln. Dann ging er hinüber in die Garderobe und legte die Kleidung für den Vormittag seines Herrn zurecht: frisch gebügelter grauer Anzug, gestärktes weißes Hemd, Unterhosen mit dem Wappen des Prinzen und dazu ein halbes Dutzend Krawatten zur Wahl, alle in unterschiedlichen gedeckten Mahagonitönen.
    Sobald der Kammerdiener damit fertig war, fragte der Prinz: »Was steht in den Zeitungen? Seien Sie so gut und fassen Sie die Schlagzeilen für mich zusammen, ja?«
    Silverman überflog die Titelseite. »Der Premierminister fliegt von Afrika nach Hause«, begann er. Bei der bloßen Erwähnung des Mannes verdrehte der Prinz schon die Augen. »Ein neuer Gesundheitsminister wurde ernannt. Und ein Rockmusiker wurde festgenommen, weil er einem Verkehrspolizisten einen Faustschlag versetzt hat.«
    »Was noch, Silverman? Wovor drücken Sie sich?«
    »Ich weiß nicht, was Sie meinen, Sir.«
    »Unsinn. Sie sind so leicht durchschaubar, Mann.«
    Der Diener räusperte sich diskret. »Ein kleiner Artikel über Ihre Mutter,

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