Das Königshaus der Monster
dem Direktorium kann sich niemand so einfach verabschieden. Diese Zügel werden Sie nie mehr abwerfen.«
»Wo ist Estella?«, fragte ich.
Boon grinste. »Selbst Kerle, die sich nicht von Dedlocks Bande rekrutieren lassen, sterben am Ende für sie«, sagte er. »So wie Ihr Papi zum Beispiel.«
Ich spürte, wie in mir die Unbeherrschtheit ihre Tentakel ausrollte. »Lassen Sie meinen Vater aus dem Spiel!«
Hawker klatschte entzückt in die Hände. »Prächtig, Sir! Sie fangen schon an zu klingen wie eine gesprungene Schallplatte!«
»Ihr Papi«, fuhr Boon fort, »hat nie für das Direktorium gearbeitet. Ihr Opa hat ihm kein Wort davon erzählt.«
»Er wollte ihm eben ein stinknormales, fades Leben gönnen.«
»Und das ist ihm gelungen, nicht wahr, Mister Lamb? Ihr Paps – das war doch der größte Langweiler, der Ihnen je untergekommen ist, oder?«
»Das ist nicht wahr!«, protestierte ich.
»Also, ehrlich, dieser Mensch war ein echter Schnarchsack!«
»Und trotz allem …« Boon grinste.
Hawker rieb sich die Hände. »Wir haben Ihrem Opa mal einen gewaltigen Gefallen getan. Wir haben ihm vom Programm erzählt.«
»Von welchem Programm?« Ich hatte das Gefühl, am Rande eines Abgrundes zu stehen. »Wovon redet ihr eigentlich?«
»Und wir haben keine große Belohnung dafür verlangt, stimmt’s, Hawker?«
»Gewiss nicht, Boon. Wir sind keine unbescheidenen Jungs, wir beide.«
»War nur eine klitzekleine Gegenleistung. Ein lächerliches Kinkerlitzchen.«
»Was«, stieß ich hervor, »hat er euch dafür versprochen?«
»Er versprach uns sein Fleisch und Blut«, sagte Hawker.
»Und wir standen schon parat, als Ihr Vater den Unfall mit dem Wagen hatte.«
»Unfall!«, krähte Hawker. »Herrje, mein kleines Unschuldslämmchen, jetzt kennen Sie die Wahrheit!«
»Wir guckten rein in den Schrotthaufen, in dem er am Abkratzen war, stocherten mit einem ziemlich dicken Stock an ihm rum und lachten uns fast einen Leistenbruch!«
Auch jetzt brachen die beiden Ungeheuer in hysterisches Gewieher aus und krümmten sich vor Lachen.
»Der Ausdruck auf seinem Gesicht«, rief Boon, »während er gerade verreckte! Er dachte, wir wollten ihn retten!«
»Erinnerst … du … dich«, japste Hawker beim Atemholen zwischen Lachanfällen, »wie wir … das Benzin … über seine Beine schütteten?«
Diesmal hielt ich an mich; ich schrie nicht, ich brüllte nicht, und ich trommelte auch nicht sinnlos mit den Fäusten gegen die Glaswände der Zelle. Und ich hütete mich davor, in die Falle zu tappen und den Kreis zu betreten. Stattdessen ging ich schweigend zur Tür, klopfte und bat die Wache, mich hinauszulassen.
»Bye-bye, Sir!«, rief mir einer der Präfekten nach. »Kommen Sie uns bald mal wieder besuchen, ja?«
»Vielleicht haben Sie nächstes Mal mehr Glück, Mister Lamb!«
Erneutes Gelächter. Ich hörte, wie der Fernseher wieder eingeschaltet wurde, hörte den grellen Anfangstusch des Orchesters – den Soundtrack meines Daseins, bevor noch irgendetwas Böses in mein Leben getreten war.
Als ich über die Schwelle hinaus auf den Korridor stolperte, hoffte ich nur, dass die beiden Scheusale nicht gesehen hatten, dass ich weinte.
Als ich nach Hause kam, wartete Abbey schon auf mich. Sie saß in einem Herren-T-Shirt am Tisch des Wohnzimmers und hielt einen Becher Schwarzen Johannisbeersaft in Händen.
»Hallo«, sagte sie.
»Hallo«, antwortete ich zurückhaltend, und nach ein paar Sekunden des Abwartens, in welcher Stimmung sie war, entschloss ich mich zu einem versuchsweisen Lächeln.
Zu meiner Erleichterung lächelte sie schwach zurück. »Tut mir leid wegen vorhin.«
»Nein, mir tut es leid!«
»Ich hab dir zugesehen, wie du mit diesem Mädchen … Ich habe es einfach zu wichtig genommen.«
»Ehrlich«, sagte ich, zog mir die Jacke aus und warf mich aufs Sofa, »Barbara interessiert mich absolut nicht.«
Als Abbey daraufhin grinste, fiel mir auf, wie dünn ihr T-Shirt war, wie es die Rundungen ihrer Brüste betonte und geradezu den Blick darauf zog.
»Wie war’s bei diesem späten Arbeitseinsatz?«, erkundigte sie sich. Ich fragte mich, ob sie bemerkt hatte, wohin meine Augen gewandert waren.
»Na ja, du weißt schon«, seufzte ich, »etwas ermüdend.«
»Dann hol ich dir was zu trinken.« Sie stand auf.
»Ein Glas Wasser wäre wundervoll«, sagte ich, und sie trabte in die Küche.
Als sie zurückkam, reichte sie mir das Glas, aber kaum hatte ich es an die Lippen gehoben, spürte ich ihre Hand in
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