Das Königsmal
Die Flugblätter hatten über den Höllenlärm der Eisengießereien und Schmiedehämmer, der über Friedland lag, berichtet. Darstellungen von monströsen Maschinen und marschierenden Soldatenkolonnen verdeutlichten die Nachrichten. Damit das Geld im Land blieb, wurde in Friedland so viel wie nirgends sonst produziert. Wallenstein hatte dort alle wichtigen Handwerks- und Landwirtschaftsbetriebe angesiedelt. Und der Feldherr überließ nichts dem Zufall. Sogar die Landstreicher wurden aufgegriffen und zur Arbeit verpflichtet.
„Der Condottiere ist ein richtiger Kriegsunternehmer und unterhält die Regimenter aus eigenen Mitteln. Dem Kaiser stellt er alles in Rechnung“, ergänzte jetzt der Kirchspielvogt. Er ließ sich noch einen Schnaps vom Apotheker einschenken und stürzte diesen mit einem Schluck hinunter. „Die hohen Kredite vermittelt ihm sein Bankier Hans de Witte. Die kaiserlichen Truppen rücken jetzt schon die dritte Woche ins Feld, und die Nachrichten sind wenig hoffnungsvoll.“
Tatsächlich waren bereits mehrere Vorstöße des dänischen Feldherrn zurückgeschlagen worden. Ende Juli überquerte die katholische Liga-Armee sogar die Weser.
„Für unseren Dänenkönig wird die Lage bedrohlich, denn die evangelischen Kurfürsten von Sachsen und Brandenburg warten ab und wollen ihre Neutralität wahren“, zürnte der Postmeister. „Die freien Hansestädte Bremen und Hamburg bekämpfen ihn sogar, weil seine Zölle und Embargos die Profite ihrer Händler schmälern.“
„Und das Ausland schickt dem König keine Hilfe“, ärgerte sich der Apotheker. „Obwohl die Krise alle europäischen Mächte betrifft, wollen sich weder Schweden, das jetzt mit Preußen und Polen Krieg führt, noch Frankreich offen am Bündnis gegen Habsburg beteiligen. Und da England und die Niederländischen Provinzen gegen die Spanier vorgehen wollen, stellen sie nur wenige Truppen für die deutsche Front ab.“
Wiebke verfolgte die Nachrichten gebannt. Alles, was beim Apotheker besprochen wurde, drang in Windeseile durch die Straßen der Stadt. Die Mägde schnappten die Brocken am Tisch ihrer Herrschaften auf und erzählten sie untereinander weiter. So verwoben sich Gerüchte, Halbwahrheiten und Tatsachen zu einem dichten Teppich, der eine düstere, fast apokalyptische Szenerie des Krieges abbildete.
Seit dem Frühjahr war das Mädchen in Stellung beim Hufner Jörgen Götsche in Bramstedt. Nach dem Tod der Mutter, die bei der Geburt ihres jüngsten Kindes gestorben war, hatte Henneke Kruse seine Tochter in die Stadt geschickt. Alles, was das Mädchen im Elternhaus lernen konnte, hatte er ihm mit auf den Weg gegeben. Wiebke war eine gute Hilfe auf dem Hof, verlässlich, klug und zäh. Sie kannte alle Tierkrankheiten und jedes Kraut, das Mensch und Vieh half. Sie wusste das Wetter aus dem Wolkenzug zu deuten und die Fährten des Wildes zu lesen. Wiebke trug ihren Glauben im Herzen, sie hatte den Katechismus mit Leichtigkeit erlernt und kannte die Familiengeschichte bis zurück in älteste Zeiten. Es gab keine Frage, die sie nicht gestellt hatte und die er nicht geduldig zu beantworten versucht hatte. Mit fast fünfzehn Jahren war Wiebke mehr Frau als Kind, und ihr Anblick schmerzte den Vater, denn aus ihrem Gesicht lachte das Spiegelbild seiner verstorbenen Frau.
„Sei fleißig und gehorsam“, hatte er ihr beim Abschied aufgetragen. „Lerne, was eine Frau wissen muss, damit ihr Gatte später auf ein kluges und verständiges Regiment im Haushalt zählen kann.“ Dann hatte er sie fest in seine Arme geschlossen, so lange, dass sie es kaum ausgehalten hatte und die Tränen in ihren Augen brannten.
Wiebke schauderte es vor dieser Zukunft an der Seite eines Mannes. In ihren Träumen verfolgten sie noch immer die Schreie der Mutter. Niemand hatte ihr helfen können.
„Das Kind ist viel zu groß“, hatte die Hebamme dem Vater besorgt zugeflüstert, als auch nach Stunden heftigster Wehen nichts vorangeschritten war und die Kräfte der Mutter schwanden. „Sie wird uns verbluten, wenn nicht ein Wunder geschieht.“
Sosehr sich die kundige Frau auch mühte, stärkende und schmerzlindernde Kräuter reichte und den in Krämpfen liegenden Körper massierte, unter den Gebeten der Familie war die Mutter aus einer tiefen Ohnmacht nicht mehr erwacht. Auch das Kind, einen kräftigen Jungen, hatten sie tot auf die Welt geholt – die Nabelschnur elend um den Hals geschlungen. In den Armen seiner Mutter wurde er auf dem Bramstedter
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