Das Königsmal
einen anderen Mann verloren und ist – so legen es Aufzeichnungen und Briefe nahe – tief verletzt. In dieser schweren Zeit tritt Wiebke Kruse, eine Zofe der Gräfin Munk, an seine Seite, und es beginnt eine fast zwanzigjährige, treue Lebensgemeinschaft, die erst mit dem Tod des Königs unter mysteriösen Umständen endet.
Doch wer war Wiebke (Wibeke/Wiebeke oder auch Vibeke) Kruse? Ihre Lebensgeschichte gibt uns heute Rätsel auf. Kaum etwas wissen wir heute von ihrer Person, denn ihr Nachlass ist nach ihrem Tod vernichtet und beiseitegeschafft worden. So bleiben den Historikern nur wenige überlieferte Dokumente und Jahreszahlen, ihre Herkunft und ihr Leben zu rekonstruieren. Die neuere dänische Forschung, die sich mit Christian IV. und seiner Zeit befasst, mutmaßt, dass Ellen Marsvin, die Mutter von Kirsten Munk, den König in Kontakt mit Wiebke Kruse bringt: „An intrigue of Ellen Marsvin’s, in 1630, led to the beginning of an affair between the King and Kirsten’s chambermaid, Vibeke Kruse, who became his permanent mistress.“ (1) Demnach scheint Wiebke Kruse dem König von der Mutter seiner Gattin als Geliebte „ins Bett geschoben“ worden zu sein. Das Motiv der geschäftstüchtigen Ellen Marsvin: Ihren Einfluss auf den König zu sichern.
Romantischer dagegen schildern es Überlieferungen, die in Schleswig-Holstein und besonders in und um die Rolandstadt Bad Bramstedt kursieren. Hier war Wiebke Kruse von 1633 an Besitzerin des Gutshofes („Schlosses“), welches Christian IV. seiner Geliebten geschenkt hatte, und hier lässt die Legende das Paar auch erstmals aufeinandertreffen. Diese Sage basiert wohl auf dem historischen Roman „Wiebeke Kruse – eine holsteinische Bauerntochter“ von Johanna Mestorf aus dem Jahr 1866. Das Buch erzählt die Le- bensgeschichte einer faszinierenden Frau: eines Bauernmädchens, das der Zufall oder das Schicksal an die Seite eines der bedeutendsten Könige Nordeuropas führt. Ein geradezu märchenhafter Aufstieg, ein besonderes Leben, eine große Liebe vor dem Hintergrund der Schrecken des Dreißigjährigen Krieges.
Johanna Mestorf (1828–1909), gebürtige Bramstedterin und als Erforscherin der Ur- und Frühgeschichte Schleswig-Holsteins und erste Professorin in Preußen selbst eine bedeutende Frau des Landes, verwebt darin eine Mischung aus Historie, Überlieferung und Legende. Dichtung und Wahrheit – ein kleiner literarischer Schatz, dem auch Motive meines Romans folgen.
Wer dem Text der Heimatforscherin folgt, sieht Wiebke Kruse wohl in Barl (heute Föhrden-Barl bei Bad Bramstedt) als Tochter des Vollhufners und freien Bauern Henneke (Hans) Kruse aufwachsen. Als junges Mädchen kommt Wiebke als Magd nach Bramstedt, und hier soll sie Christian IV. beim Wäsche waschen an der Au-Brücke entdeckt haben. Das erste Zusammentreffen zwischen Wiebke Kruse und König Christian schildert Johanna Mestorf wie folgt:
„Auf einer Waschbrücke, welche am Vordergrunde von einem Garten ins Wasser hinaus gelegt war, stand in der kleidsamen Tracht des Landes, mit hochgeschürztem Rocke, ein junges Mädchen und spülte und klopfte das sauber gewaschene Leinenzeug. Als sie die vornehme Reiterschar über die Brücke ziehen sah, hielt sie verwundert inne und schaute, den Körper leicht nach vorn gebeugt, das Waschholz in der erhobenen Rechten, neugierig auf die Fremden, ohne zu ahnen, dass sie selbst einen malerischen Ruhepunkt für die Augen der vornehmen Herren bildete.“ (2)
Johanna Mestorf hat hier mit einer Fußnote „historisch“ angemerkt, „jedoch lässt sich keine historische Quelle für diese Einschätzung finden“, bemerkt Dr. Klaus Joachim Lorenzen-Schmidt in seinem Vortrag „Wiebeke Kruse – eine holsteinische Bauerntochter?“ (3) Der Leiter des Staatsarchivs Hamburg konnte bis heute keinen Nachweis über eine Barler Abstammung der Wiebke Kruse oder über ebendiese „historische“ Begegnung finden. Seine Quellen: das Föhrdener und Barler Hofstellenverzeichnis sowie Kirchenbuchmaterial aus Bramstedt. Und der Historiker Prof. Hans Riediger, der als einer der besten Kenner des Quellenmaterials gilt, schreibt in seinem Buch „Bauernhöfe und Geschlechter Bd. I“ unter der Barler Hufe Nr. 4: „Die Abstammung der Wibke Kruse von dieser Hufe dürfte heimatgeschichtlich von Interesse und Bedeutung sein. Ihr um 1555 (errechnet) geborener Vater Hennike ist kurz vor dem 22.8. 1653 im hohen Alter von 98 Jahren verstorben. Wibke selbst wird jedoch ebenso wie
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