Das Königsmal
Auch die Widrigkeiten des harten Landlebens sah man ihm nicht an. Und so spannte die wollene, blaue Jacke mit den großen, silbernen Schmucktalern über einem Bauch, den Grütze, Fleisch, Brot und Bier bei Laune hielten.
Eben wandte er sich seinem Nachbarn und Freund zu. Claas Soodt war kleiner und hagerer, ein lebhafter Mann, der seine Arme und Beine schlecht stillhalten konnte. Sein Gesicht schien sorgenvoll. Dunkel verhangene Augen lugten unter Brauen hervor, die sich finster zusammengezogen hatten. Ausladende Gesten begleiteten seine Worte, während Henneke Kruse nur ab und zu nachdenklich blickend an der Pfeife zog.
„Die Lage ist zum Zerreißen gespannt“, hörte ihn das Mädchen sagen. Wieder wandten sich die Erwachsenen den bedrohlichen Ereignissen zu. Sie spitzte die Ohren, um die beiden Männer trotz der lärmenden Spatzen zu verstehen, die über den Hofplatz stoben. „Die Händler in der Stadt sagen, man fürchtet einen großen Krieg. Seit dem Prager Aufstand ist nichts mehr, wie es war.“ Zornig ballte Claas Soodt die Fäuste und fügte atemlos hinzu: „Die kaiserliche Armee soll nur eine einzige Stunde für ihren vernichtenden Sieg über die Rebellen gebraucht haben. Man erzählt sich, die Seelen der Unsrigen seien in der Schlacht am Weißen Berg klagend in den Himmel aufgestiegen und hätten den Ort für alle Zeiten in einen Platz der Trauer verwandelt.“
Tatsächlich hatte die katholisch-kaiserliche Liga-Armee ganze Arbeit geleistet. Die Protestanten unter der Führung von Kurfürst Friedrich von der Pfalz, den die Böhmen zu ihrem neuen König gewählt hatten, nachdem sie Ferdinand für abgesetzt erklärt hatten, waren vernichtend geschlagen worden. Friedrich von der Pfalz war mit seiner Familie nach Den Haag geflohen, und die protestantischen Regierungen der Niederländischen Provinzen, Frankreichs, Englands und der König von Dänemark mussten mit Bestürzung erkennen, dass sie im Wirrwarr des böhmischen Krieges die Besetzung der Pfalz durch die mit dem Kaiser verbündeten Spanier zugelassen hatten. Der Habsburger Feind saß jetzt in ihrer Mitte – bereit, weiter vorzurücken. In aller Eile wurde nach Bündnispartnern gesucht. Diplomaten und Kuriere jagten durch Europa, um Allianzen zu schmieden. Doch neben Holland war nur der mächtige König Christian IV. von Dänemark und Norwegen bereit, ein Bündnis gegen die Habsburger einzugehen.
Doch davon ahnten die beiden Männer noch nichts, die fernab der Schlachtfelder versuchten, die Winkelzüge der Politik nachzuvollziehen.
„Die zwölf größten Kanonen des kaiserlichen Heerführers Tilly sind nach den Aposteln benannt“, setzte Claas Soodt wieder an. „Und seine Schutzpatronin ist die Jungfrau Maria. Er selbst lebt wie ein Mönch. Aber noch gefährlicher ist Wallenstein. Er rüstet seine Heere mit eigenen Mitteln auf und stellt sie dem Kaiser zur Verfügung. Wenn der böhmische Katholik tatsächlich auf die Sterne vertraut und sich sein Schicksal aus ihren Bildern weissagen lässt, wird sich der Kaiser keinen besseren Feldherrn wählen können. Hilft ihm nicht sein Gott, holt sich der Emporkömmling seinen Beistand gewiss bei den dunklen Mächten“, fluchte er gereizt und schnippte sich eine Spinne von der Hand. Dann prophezeite er mit düsterer Miene: „Es werden blutige Zeiten kommen und Not und Elend über uns alle bringen. Wenn uns der Krieg erreicht, wird man im Namen des Herrn unsere Söhne verschleppen und die Höfe plündern und verwüsten. Es ist, als ob ein Fluch über dem Land läge. Spürst du nicht die bedrohliche Stille, die über diesem Sommer lastet?“
Henneke Kruse schüttelte den Kopf. „Ruhig, ruhig“, beschwichtigte er den Freund, der wie so oft schwarzsah. Kaum hustete eine Kuh, vermutete er schon finstere Mächte am Werk. Und selbst um die kleinen Maikätzchen machte er jedes Jahr einen Bogen. Er glaubte, sie brächten Schlangen und Unglück ins Haus. „Warum malst du schon wieder den Teufel an die Wand? Noch rührt sich der Kaiser nicht bei uns. Und wenn hinter dem Krieg wirklich der Plan steckt, die Protestanten zu vernichten, können wir Holsteiner doch ruhig abwarten. Der vertriebene Böhmenkönig soll zwar König Christian um Beistand gebeten haben, aber der wird es sich wohl überlegen, bevor er Land und Leute in Gefahr bringt. Es wird schon keine Feuersbrunst daraus werden. Und wenn es wirklich zum Schlimmsten kommt, so wird Gott der Herr uns doch schützen“, hoffte Henneke Kruse. Er fühlte sich
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