Das Kommando
was er soeben erfahren hatte. Doch er war aus anderem Holz geschnitzt. Die Lage war äußerst verzwickt. Als Angehöriger des FBI unterstand Lee nicht der CIA, sondern hatte lediglich ein Büro in deren Gebäude, und bei der Bundespolizei gab es einen Haufen Vorschriften darüber, wie man sich in bestimmten Situationen zu verhalten hatte. Durch solche Vorschriften fühlte sich Rapp bei seiner Arbeit eingeengt, und hier war eine rasche Entscheidung gefragt. Sie mussten den Burschen fassen, ohne ihn aufzuschrecken. Sobald das FBI von der Sache Wind bekam, gab es keine Möglichkeit mehr, etwas zurückzunehmen.
Fürs Erste beschloss er, behutsam vorzugehen. Zu Bourne und Dumond sagte er: »Rufen Sie alle Taxiunternehmen an, und stellen Sie fest, wer um die Zeit am Bahnhof war, als der Kerl herausgekommen ist, und…«
– hier senkte er die Stimme – »… sorgen Sie dafür, dass außer uns dreien niemand etwas von der Sache erfährt.« Beide nickten. Sie gehörten zur CIA und wussten genau, was er meinte.
»Marcus, kümmern Sie sich weiter um die Konten des dicken Omar. Irgendwann im Lauf der vergangenen Woche müsste ein größerer Betrag in bar abgeflossen sein. Falls Sie etwas finden, rufen Sie mich über die Digitalleitung an.« Rapp nahm die Ausdrucke des Überwachungsfotos und des Eisenbahnfahrplans an sich und ging zur Tür.
»Wohin wollen Sie?«, fragte Dumond.
Er faltete die Blätter zusammen und steckte sie in die Tasche. »Ins Weiße Haus.«
60
Präsident Hayes saß am Schreibtisch und hielt den Hörer ans Ohr, während seine Berater in Fragen der nationalen Sicherheit auf den Sofas darauf warteten, dass er zu ihnen stieß. Kennedy saß neben Valerie Jones und tat so, als lese sie in einer Akte, in Wahrheit aber lauschte sie aufmerksam auf alles, was der Präsident sagte, oder, genauer, auf alles, was er nicht sagte. Einer der beiden Senatoren des Staates New York, dessen Stimmenmehrheit der Präsident nur mit Mühe bekommen hatte, war am Apparat und verlangte, dass er die Israelis wegen ihres Angriffs auf Hebron nicht unnötig hart anfasste.
Eigentlich hatte Hayes das Gespräch nicht annehmen wollen, aber Jones hatte ihn dazu gedrängt, ja praktisch darauf bestanden. Wenn er zur Wiederwahl kandidiere, seien sie auf den Staat New York angewiesen, so ihre Argumentation. Das war bei weitem nicht der erste Anruf zugunsten Israels, der an jenem Vormittag im Weißen Haus einging. Die mächtigen jüdischen Interessenvertreter waren aufgescheucht und bemühten sich mit allen Kräften zu verhindern, dass bei der für den späten Vormittag vorgesehenen Abstimmung vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen eine für sie katastrophale Entscheidung gefällt wurde. Jedes Mitglied des Nationalen Sicherheitsrats hatte mindestens zwei Anrufe einflussreicher Persönlichkeiten bekommen. Am heftigsten war die Außenministerin bedrängt worden, aber auch die Büroleiterin Jones und Verteidigungsminister Culbertson hatten zu den Opfern gehört. Selbst bei Kennedy und General Flood waren Interessenvertreter Israels vorstellig geworden.
»Ich werde all diese Punkte in Erwägung ziehen«, sagte der Präsident, den Blick in Leere gerichtet. Er hörte noch einige Sekunden zu und sagte dann mit entschlossener Stimme: »Die Bedeutung der Situation ist mir völlig klar, Senator. Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen wollen, ich habe zu tun.« Er warf den Hörer auf die Gabel, erhob sich und sah seine Büroleiterin bedrückt an. »Das war der Letzte. Ich nehme keine weiteren Anrufe an. Die Leute machen sich mehr Sorgen um Israel als um ihr eigenes Land.«
»Was wollte er denn?«, fragte sie.
»In dürren Worten läuft es darauf hinaus: Wenn ich bei der nächsten Wahl die Stimmen des Staates New York haben möchte, soll ich gefälligst dafür sorgen, dass die Entschließung der Franzosen nicht durchkommt.« Er blieb stehen. »Als wäre all das nicht schon schlimm genug, haben die Israelis Panzer nach Hebron in Marsch gesetzt – noch dazu solche aus amerikanischer Produktion.«
»Sir«, begann Jones, »ich denke, wir müssen dafür sorgen, dass die Abstimmung hinausgezögert wird.«
»Bea?« Fragend sah Hayes zu seiner Außenministerin hin.
»Soweit ich gehört habe, sind die Franzosen fest entschlossen, die Sache zur Abstimmung zu bringen. Ganz besonders, seit sie erfahren haben, dass gestern Abend die israelischen Panzer vorgerückt sind.«
»Wir sollten aber die Selbstmordattentäter nicht außer Acht lassen«,
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