Das Kommando
Zeit schickte ihn sein Vetter, der Kronprinz, erneut ins Weiße Haus. Er sollte lieber die Fanatiker beschwichtigen, damit sie den Männern des Herrscherhauses nicht die Kehle durchschnitten.
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Alle Sicherheitskräfte waren aufs Äußerste angespannt. Die rund zwei Dutzend Demonstranten auf der anderen Seite des schwarzen Stahlgitterzauns beunruhigten Uri Doran, den Mann, dessen Aufgabe es war, den Botschafter Israels in den Vereinigten Staaten zu beschützen, nicht sonderlich. Größere Sorge bereiteten ihm die Kamerateams der Fernsehsender, vor allem zwei von ihnen. Seit achtzehn Jahren arbeitete er für den israelischen Sicherheitsdienst Shin Bet, der in etwa dem amerikanischen Geheimdienst und der Sicherheitsabteilung des Außenministeriums entsprach. Diese Jahre hatten ihn gelehrt, dass Kameras weit gefährlicher waren als Megafone, Ziegelsteine oder Schilder, die man über den Schädel geschlagen bekam. Eine einfache Manipulation der Aufnahmen genügte, und sein Volk wurde der Weltöffentlichkeit als Verbrecher in Knobelbechern vorgeführt.
Dass die Stadtpolizei zwei Einsatztrupps geschickt hatte, um die Menge im Zaum zu halten, verminderte Dorans Sorgen kaum. Er hatte die blau uniformierten Männer und Frauen schon früher erlebt und wusste, was von ihnen zu halten war. Auf keinen Fall würden sie nachdrücklich gegen aufrührerische Demonstranten einschreiten. Da es in den letzten Jahren eine Reihe von Prozessen gegen polizeiliche Übergriffe gegeben hatte, achtete jeder sorgfältig darauf, seine Karriere nicht zu gefährden. Schlimmer noch war, dass es in Washington eine große Anzahl ›Berufsdemonstranten‹ gab, die genau wussten, wo man eine Konfrontation mit den Ordnungsmächten suchen konnte und wie man sie zu inszenieren hatte. Veranlasste man sie dazu, das Feld zu räumen, ließen sie sich theatralisch zu Boden fallen und stießen Schmerzensschreie aus, als würden ihnen sämtliche Gliedmaßen gebrochen. All das geschah natürlich bildwirksam vor den Kameras, um den Zuschauern zur besten Sendezeit möglichst dramatische Bilder zu liefern.
Doran umklammerte sein digitales Funkgerät und sah über das Gelände der Botschaft hinweg zu den Demonstranten. Noch verhielten sie sich einigermaßen friedlich, doch würden sie wie verrückt gegen das Tor anstürmen, sobald sich der gepanzerte schwarze Cadillac des Botschafters in Bewegung setzte. Einen Augenblick lang sehnte er sich nach seiner Zeit in Argentinien zurück. Dort hatte die Polizei die Wasserwerfer auf die Menge gerichtet, und die Sache war erledigt. Hier in den Vereinigten Staaten würde so etwas nie geschehen, so viel er auch darauf hoffen mochte.
Am besten wäre es natürlich, einfach zu warten, bis alle abzogen, doch hatte ihm der Botschafter zu verstehen gegeben, dass das nicht möglich sei. Er war ins Weiße Haus einbestellt worden und konnte es sich angesichts der gegenwärtigen Lage nicht leisten, diese Aufforderung zu ignorieren. Einer von Dorans Männern hatte vorgeschlagen, den Botschafter durch das hintere Tor in einem Wagen der Sicherheitskräfte hinauszuschmuggeln, doch das war aus zwei Gründen nicht praktikabel. Erstens würde der Botschafter in seiner Eitelkeit nie und nimmer in einem Alltagsauto vor dem Weißen Haus vorfahren, und zweitens bot keines der verfügbaren Fahrzeuge die gleiche Sicherheit wie der gepanzerte Benzinschlucker des Botschafters. Es blieb ihnen nichts anderes übrig, als sich im Schritttempo durch die Menge zu schieben und die Beulen und Kratzer, die der Wagen dabei zweifellos abbekommen würde, später ausbessern zu lassen.
Doran trat wieder in die Botschaft, wo Seine Exzellenz Eitan nervös auf die Uhr wies. Zögernd nickte der Beamte der Shin Bet und teilte seinen Männern über Funk mit, dass der Botschafter gleich herauskommen werde. Kurz darauf geleitete er ihn durch die Tür und blieb an seiner Seite, bis er auf dem Rücksitz Platz genommen hatte.
Der Weg zum Weißen Haus, für den bei jeder Fahrt nach dem Zufallsprinzip eine andere Strecke ausgewählt wurde, war festgelegt worden, und der Wagen, der ihnen den Weg bahnen sollte, stand ebenso bereit wie jener, der den Abschluss der kleinen Kolonne bildete. Langsam rollte er auf das Tor zu. Vom Beifahrersitz des Botschaftsfahrzeugs aus konnte Doran sehen, dass die Demonstranten vorrückten. Er widerstand dem Drang, seine Uzi-Maschinenpistole aus ihrer Halterung unterhalb der Armaturentafel zu nehmen. Das sind nur Demonstranten, nichts weiter ,
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