Das Kommando
Dann fügte er hinzu: »Das ist die offizielle Fassung. Möchten Sie hören, wie es wirklich war?«
Beide Männer nickten, Jackson mit mehr Begeisterung als Forester.
»Was ich Ihnen jetzt mitteile, ist streng geheim. Das kann ich nicht nachdrücklich genug betonen.« Nachdem er die beiden auf diese Weise vorbereitet hatte, sagte er:
»Heute Nacht ist kurz vor Morgengrauen eine Scharfschützenabteilung der US Special Forces auf der Insel abgesetzt worden. Sie hat sich an ihren Einsatzort begeben und irgendwann nach Sonnenaufgang den Schuss abgefeuert.«
Beide Offiziere nahmen die Nachricht schweigend auf. »Das ist aber noch nicht alles. Auf dem Weg dorthin hat der aus vier Männern bestehende Trupp die Andersens und ihre Bewacher gesehen. Daraufhin haben sie sich aufgeteilt: Zwei sind den Geiseln gefolgt, die beiden anderen haben den General erledigt.«
»Wir wissen, wo die Andersens sind?«, fragte Jackson vorsichtig.
»Ja.«
Er stellte beide Füße auf den Boden und beugte sich vor. »Wissen wir genau, wo sie sich aufhalten?«
»Sogar ganz genau«, gab Rapp zur Antwort. »Und wir holen sie da raus.«
32
Unruhig zuckten an diesem kalten Märzabend Lichter am Himmel, während überlange schwarze Limousinen über die Pennsylvania Avenue krochen und darauf warteten, unter dem von Säulen getragenen Vordach am Nordende des Weißen Hauses ihre Fahrgäste abzusetzen. Für das Staatsbankett, das zu Ehren des kanadischen Premierministers stattfand, war Abendkleidung vorgeschrieben. Irene Kennedy hatte ihren Fahrer angewiesen, sie ans Südwesttor zu bringen. Sie hatte keine Zeit, in der langen Schlange der anderen Wagen zu warten, denn sie musste unbedingt vor Beginn des Banketts mit dem Präsidenten sprechen.
Der jungen Direktorin der CIA fiel es nicht leicht, anderen zu vertrauen. Immerhin war in ihrem Beruf nicht alles so, wie es auf den ersten Blick erschien. Stets musste sie damit rechnen, dass andere, ob im eigenen Interesse oder dem fremder Länder, sie zu täuschen versuchten. Sogar wenn sie jemandem vertraute, war es klüger, sich nach den Gründen dafür zu fragen. Mitch Rapp bildete eine Ausnahme. Er gehörte zu den wenigen Menschen, auf die sie sich voll und ganz verlassen konnte.
Zwar ging er völlig anders an die Dinge heran als sie, aber er war tüchtig, und seine Motive lagen offen zutage. Für die Menschen, die in Washington in hohen politischen Ämtern saßen, hatte er nichts als Verachtung übrig. Wie die fehlgeschlagene Rettungsaktion auf den Philippinen gezeigt hatte, waren in der Hauptstadt bei Angelegenheiten, die man am besten im kleinsten Kreise hielt, zu viele Einzelpersonen und zu viele Behörden beteiligt. Um zu begreifen, dass ein Geheimnis umso eher ausgeplaudert wird, je mehr Menschen es kennen, brauchte man kein Meisterspion zu sein.
Das war im Wesentlichen der Punkt, über den Irene Kennedy an diesem Abend mit dem Präsidenten und General Flood sprechen musste. Rapp hatte ihr erfreuliche Neuigkeiten über die Andersons mitgeteilt, im Anschluss daran aber gleich eine recht ungewöhnliche Bitte geäußert. Anfangs hatte sie sich nicht damit anfreunden mögen, doch nach längerem Nachdenken nahm sie an, dass Rapp mit diesem für ihn typischen Vorgehen wie schon so oft in der Vergangenheit Erfolg haben könnte.
Nach einer kurzen Sicherheitsüberprüfung durfte Kennedys Wagen das Südwesttor passieren und zum West Executive Drive fahren. Als sie ausstieg, hielt sie mit einer Hand ihre schwarze Samtstola und raffte mit der anderen den Saum ihres bodenlangen Abendkleids. Ein uniformierter Sicherheitsbeamter öffnete ihr die Tür, und sie eilte in die willkommene Wärme des Westflügels.
Im Erdgeschoss ging sie an der Kantine und dem ›Lageraum‹ vorüber. Diese Bezeichnung bezog sich darauf, dass dort häufig Lagebesprechungen stattfanden, viel wichtiger aber war, dass in diesem Raum alle Kommunikationsleitungen zusammenliefen und die darin Tätigen die Aufgabe hatten, vierundzwanzig Stunden am Tag dafür zu sorgen, dass wichtige Informationen den Präsidenten, seinen Sicherheitsberater und die Mitglieder des Nationalen Sicherheitsrates unverzüglich erreichten. Danach ging sie eine Treppe empor und am Kabinettszimmer vorbei. Jetzt war sie wieder im Freien und schritt rasch durch den Säulengang. Diesen Weg legte der Präsident jeden Tag zu seinem Amtszimmer zurück. Als sie das Gebäude wieder betrat, erwartete der für Präsident Hayes’ persönlichen Schutz verantwortliche
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