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Das kommt davon, wenn man verreist

Das kommt davon, wenn man verreist

Titel: Das kommt davon, wenn man verreist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Noack
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wollten sie sehen?) »Die
Mauer, natürlich. Das Berlinmuseum. Die Nationalgalerie...«
    Bedrückter Blick aus Pepes Richtung: »Wir haben
nur anderthalb Tage Zeit. Wenn’s geht, Museen nur bei Regen, ja?«
    Was noch?
    Den Ostsektor, Reichstag. Tiergarten, Kreuzberg.
Das Berliner Dorf Lübars und die »Nolle« — den Flohmarkt auf dem stillgelegten
U-Bahnhof.
    Eine typische Berliner Kneipe.
    Und die Philharmonie von außen, von innen hatte
sie ausverkauft.
    Eine Dampferfahrt auf den Havelseen.
    »Nachtleben auch?«
    Die Brüder dankten, das mußte nicht sein.
    Aber die Pfaueninsel.
    Je mehr Rieke über Stadt und Umgebung
nachdachte, um so mehr fiel ihr zum Vorzeigen ein.
    Was unentschlossen begonnen hatte, uferte im
Laufe des Wochenendes zu nimmermüdem Lokalpatriotismus aus.
    Berlin-West war zirka 480 Quadratkilometer groß.
Das war sehr viel für eine halbe Stadt. In Pepe entwickelte sich langsam die
Furcht, Rieke könnte ihnen jeden Quadratmeter einzeln vorführen. Grund zu
dieser Befürchtung war zweifellos vorhanden.
    Hatten sie am Samstagnachmittag noch Dankbarkeit
für ihre Rundreiseleiterin empfunden, so fühlten sich die Brüder am späten
Abend desselben Tages als ihre Opfer. Es war bestimmt fabelhaft, was sie in so
kurzer Zeit zu sehen, zu hören und an Berliner Spezialitäten zu essen bekamen,
aber — so viel hatten sie ja gar nicht gewollt. »Daß hier immer alles zum Streß
ausarten muß, selbst das Amüsement«, stöhnte Pepe nach einer »Sause« durch
etliche originelle Berliner Kneipen.
    Ihm taten die Füße weh vom Pflastertreten und
vor allem der mit Ungewöhnlichkeiten überfütterte Magen.
    »Laß nur«, tröstete ihn Rieke beim Abschied um
Mitternacht. »Morgen früh machen wir einen langen Spaziergang um den
Grunewaldsee, dann geht’s dir wieder besser.«
    Nun war Spazierengehen nicht gerade das, womit
man Pepe trösten konnte, im Gegenteil... er überließ das Laufen nur zu gern den
Tieren.
     
    Wahrscheinlich gab es keinen See in Deutschland,
um den am Sonntagvormittag so viele Samstagabendkater ausgelüftet wurden wie um
diese idyllische, längliche Pfütze zwischen Kiefern- und Laubwald.
    Hunderte von Hunden aller Rassen wuselten um
seine Ufer herum, beschnupperten und jagten sich, Plumpsack immer mittendrin.
Er hatte viel zu tun.
    Was Pepe am meisten wunderte — alle Hunde waren
wohlgenährt, verfügten über einen Namen, sie hatten sogar eine eigene
Badestelle an diesem See. Und sie wurden von ihren Besitzern bierernst
genommen.
    Da war zum Beispiel eine Frau, die ihrem Schnauzer,
der nicht von einer mißgestimmten Hündin lassen wollte, zurief: »Mensch,
Justav, sei keen Esel! Laß die Zicke loofen!«
    Sie begegneten berittener Polizei und
Trainingsanzügen, prall wie Blutwurstpellen auf schwitzenden Körpern sitzend,
die mit angewinkelten Armen und dunkelroten Köpfen, mit bis zum äußersten — dem
Trimm-dich-Infarkt — entschlossenen Mienen durch den märkischen Sand
stäubten...
    Sie kamen auch zum Bullenwinkel. Das war ein
Nacktbadestrand, mitten und ziemlich unverhofft im Seerundgang, angelegt wie
ein Affengehege im Zoo, angefüllt mit sandpanierten, schlaffen Altmännerpopos,
Gammlern, Exhibitionisten und vereinzelten FKK-An-hängern.
    Dazwischen jagten sich Hunde, Staubwolken
aufwirbelnd, schoben Omas ihre Enkel im Sportwagen und Radausflügler ihre
Fahrräder durch den tiefen, grauen Sand.
    Bob platzte vor Lachen, vor allem über die
abgrundtiefe moralische Empörung seines kleinen Bruders.
    »Das ist armselig und lächerlich«, ereiferte
sich Pepe, »das wäre bei uns im Chapultepecpark ein Skandal!« Und zu Rieke:
»Schockiert dich das nicht?«
    »Ach, weißt du, man gewöhnt sich dran.«
    »Aber du setzt dich hier nicht zur Schau!?«
    »Nein, nein«, versicherte sie ihm und pfiff
vergebens nach Plumpsack. Er hockte voller Andacht vor einem Nackichten, der seine
breiten Schenkel als Picknicktablett benutzte. Mit dem Taschenmesser schnitt er
dicke Scheiben von einer Hartwurst und schob sie sich quer in den Mund.
Plumpsack sah dabei zu und gönnte ihm keinen Bissen.
    Bob mußte ihn gewaltsam holen.
     
    Am frühen Nachmittag saßen sie in einem kleinen
Restaurantgarten an der Havel. Boote plätscherten an ihnen vorüber, beladen mit
Liebespaaren, Familien und Melodien aus dem Kofferradio.
    Pepes Stimmung schwamm mit jeder Schnulze den
Fluß hinunter. Es ging ihm nicht gut. Nicht nur wegen des Aals grün mit
Gurkensalat, zu dem Rieke seinen von den gestrigen Berliner

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