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Das kommt davon, wenn man verreist

Das kommt davon, wenn man verreist

Titel: Das kommt davon, wenn man verreist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Noack
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sie nicht mit Sixten teilen mußte.
    Solange sie täglich mit ihm zusammen gewesen
war, hatte sie es sich nicht vorstellen können, wie es sein würde ohne ihn.
    Und jetzt vermißte sie ihn nicht einmal, im
Gegenteil. Es war phantastisch, ohne Pflichten und ohne Störung am
Samstagvormittag auf dem Balkon zu liegen, zwischen zwei Korbstühlen, nur mit
einem Slip und einem alten Jeanshemd bekleidet, und ihre von der Arbeit
ramponierten Nägel zu feilen.
    Sie brauchte nicht fürs Wochenende einzukaufen,
weil kein Mann da war, den seine Mutter von klein auf an warme, ausführliche
Mittagsmahlzeiten gewöhnt hatte. Sie brauchte nicht zu kochen, sondern nur an
den Eisschrank zu gehen, wenn sie Hunger verspürte. Ein Ei in die Pfanne hauen,
ein bißchen Salat anrichten und gleich stehend am Küchentisch alles von einem
Teller in sich hineingabeln — bloß keinen unnötigen Abwasch.
    Für den späten Nachmittag war sie mit einer
Freundin verabredet, die sie seit Monaten nicht gesehen hatte. Anschließend gab
ihr Bruder ein Fest. Rieke hatte bis Sonntag abend ein volles Programm, wenn
sie wollte — aber sie mußte ja nicht, wenn sie nicht wollte...
    Sie war geradezu verliebt in ihre
Entscheidungsfreiheit. Es wäre alles wunderschön gewesen, wenn nicht wieder
dieser verflixte Wochenendkrieg im Hausflur getobt hätte. Er ließ sich nicht
einmal durch ein lautgestelltes Radio übertönen.
     
    Diesmal hatte Adi Kosewinkel zur Attacke
geblasen. Ihn ärgerten die Gemüsebeete, die Üskül und seine Sippe dort
anlegten, wo früher einmal ein Steingarten gewesen war. Im Frühjahr hatte er
bereits die meisten Setzlinge zerstört, indem er mit seinem Fahrrad etliche Male
über sie hinweggeradelt war. Darauf pflanzte Üskül ein zweites Mal. Diesmal
umgab er seine Beete mit einem Drahtverhau, als ob er Panzereinbrüche
erwartete.
    Besagter Drahtverhau ließ Adi nicht mehr
schlafen. Sein Hirn, vom Haß vergällt, brütete eine neue Perfidie aus: Er
besorgte sich Raupen und Würmer und warf sie durch den Drahtverhau aufs
türkische Gemüse.
    Das war im Laufe der vergangenen Woche
geschehen. Rieke auf ihrem Balkon hatte gerade die Nägel einer Hand gefeilt,
als es an ihrer Wohnungstür Sturm läutete.
    Sie öffnete nur ungern, denn sie ahnte, daß
nichts Beglückendes davor stand.
    Elsbeth Kosewinkel, birnenförmig, bis zur Hälfte
baby-rosa eingehäkelt, stürzte herein.
    »Schnell! Ham Se Pflaster?«
    »Moment, ich schau mal«, Rieke ging vor ihr her
an das Arzneischränkchen im Badezimmer, aber es enthielt nur noch die Dinge,
die man alle fünf Jahre einmal brauchte. Aktuelles, wie Pflaster, war
vergriffen.
    »Ich hab’ noch was im Auto. Wofür soll’s denn
sein?«
    »Für mein’ Adi. Fatima hat ihm jebissen. Hier —«
Elsbeth Kosewinkel zeigte an ihrer Hand, wo.
    Fatima war Üsküls Frau.
    »Wenn die man nich die Tollwut hat«, sagte
Elsbeth und machte keinen Witz.
    »Aber warum?«
    »Dies war so. Wie ick draußen im Jarten so vor
mir hinsitze und nischt Böset ahne, kommt doch der Üskül und schmeißt mir mit
Raupen und so ‘n Jeziefer. Darauf schrei ick nach mein’n Mann. Der war jerade
bei unser verstopptes Klo bei, und wie er mir hört, kommta rausjerannt, noch
mit den Draht davor und drischt den Üskül übern Deetz. Det sieht Fatima und
beißt ßu... so war det.«
    Rieke betrachtete träumerisch Frau Kosewinkels
schmuddelige rosa Häkelei und erinnerte sich an eine noch immer nicht gelöste
Frage: »Wissen Sie zufällig, was Kanaken sind?«
    »Kanaken?« Diese Frage brachte Adis Frau völlig
aus ihrem Zorn. »Kanaken! Wieso denn?« Da sie aber nicht der Typ war, der
freiwillig Bildungslücken zugab, fing sie an zu raten.
    »Also det sind — wie soll ick saren — also —
wenn det man nich die männliche Form von Kanallje is. Oda wat mein’ Sie,
Fräulein Birkow?«
    »Kanake war ursprünglich der Name für
Hawaiianer, heute ist er die geringschätzige Bezeichnung für alle
Südseebewohner«, sagte ein Mann, der den Flur entlangkam.
    Rieke und Frau Kosewinkel sahen sich nach ihm
um. Rieke glaubte es nicht, aber es war trotzdem Bob Taschner, und hinter ihm
tauchte Pepe auf mit erwartungsvollem Gesicht: Na? Freut sie sich über unsere
Überraschung?
    Sie fiel beiden gleichzeitig um den Hals: »Ihr
in Berlin? Ich werd’ verrückt!« Und zu Frau Kosewinkel, die interessiert
zuguckte: »Tut mir leid, ich kann jetzt nicht. Ich hab’ Besuch gekriegt. —
Kommt rein.« Während sie die Wohnungstür hinter den beiden

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