Das kommt davon, wenn man verreist
die Räume durch
Öfen geheizt, im Sommer standen die Fenster weit offen, um Wärme vom Hof
hereinzulassen, einem typischen Berliner Hinterhof mit Teppichstange,
Mülltonnen, Fliederbaum und abgestoßenen Emailleschildern voller Hinweise und
Verbote.
Vor der Werkstattür standen in Kübeln
Oleanderbäume, die nie zum Blühen kamen, weil die Sonne zu kurz auf das
Hofquadrat zwischen vierstöckigen Mauern schien.
Wie jeden Morgen, wenn Rieke die Werkstatt
betrat, thronte Papke ringerstark und untersetzt in der Mitte seines
Wachstuchsofas und las die Morgenzeitung. Um ihn herum schnurrten seine Katzen.
»Na, Kleene?« begrüßte er sie. Rieke mußte sich
zu ihm setzen, bekam einen »Topp Kaffe« und packte eine der beiden Schrippen
mit Fleischsalat aus, die sie jeden Morgen beim kleinen Schlachter nebenan
erstand.
Papke gab ihr den Teil seiner Zeitung, den er
schon gelesen hatte. Die Katzen strichen um Riekes nackte Beine. Man hörte nur
das Rascheln beim Umdrehen der Blätter, Spatzenschilpen von draußen, ab und zu
Papkes Kaffeeschlürfen mit anschließendem behaglichen Ächzen. Seine
Lebensgefährtin Rotraud, in ihrer Blutjugend ein Nummerngirl der Berliner
Scala, durfte ihnen während der Morgenstunden nicht zu nahe kommen. Sie
»quakte« Papke zuviel. Zum mühsamen Anlaufen brauchte er absolute Ruhe,
wenigstens so lange, bis er die Zeitung zu Ende gelesen hatte. Dann stemmte er
seine Pranken auf die kurzen, massiven Schenkel und holte sich also den Schwung
zum Aufstehen.
»Na, denn woll wa mal!«
So begann jeder Tag in der Werkstatt. Zur Zeit
arbeiteten sie an einer Louis-Seize-Chiffonniere, die trockene Zentralheizungsluft
entblättert hatte. Sie mußte neu furniert werden mit Rosenholz, Palisander und
Kirsche.
Papke redete noch immer keinen Ton, ein
untrügliches Zeichen dafür, daß er am vergangenen Wochenende beim Rennen auf
die falschen Rösser gesetzt hatte. Er konnte das Zocken nicnt lassen, und darum
gab es ständigen Ärger mit Rotraud.
Gegen elf Uhr läutete das Telefon. Papke horchte
hinein und gab den Hörer an Friederike weiter.
»Wer?«
»Dein Knilch.«
»Sixten!« rief sie erschrocken. »Ist was
passiert?«
»Wieso? Warum soll was passiert sein?«
»Weil du vormittags anrufst, wo es so teuer ist.«
»Abends kann ich nicht, da sind wir nie zu
Haus.« Seine Stimme klang zufrieden wie lange nicht mehr. »Dieses München
schlaucht einen vielleicht. Immerzu ist was los. Aber ich wollte mich doch mal
melden.«
»Das ist rührend von dir. Wie geht es Vera? Habt
ihr was von ihr gehört?«
»Wir haben sie zweimal besucht. Es geht ihr
prima. Bloß der arme Max hat großen Ärger.«
»Warum?«
»Das erzähl’ ich dir, wenn ich zurückkomme.«
»Wann kommst du denn, Sixten?«
»Weiß noch nicht. Vielleicht nächstes
Wochenende. Ich sag’ dir Bescheid.«
»Alsdann...«
»Warte. Lonka will dich noch sprechen.«
Sixten gab den Hörer ab.
»Servus, Rieke, grüß dich. Schad, daß d’ net
hier sein kannst. Am Wochenend waren wir mit Freunden im Salzburgischen... Paul
läßt dich auch grüßen, er kommt gerad bei der Tür herein.«
»Habt ihr mal was von den Taschners gehört?«
fragte Rieke.
»Taschners —?« (Lonka brauchte Zeit, um sich zu
erinnern.) »Ach so, du meinst deine Rallyepartner. Da müßt ich schon die Vera
fragen.«
»Laß man, es ist nicht so wichtig«, sagte
Friederike. Und dann meldete sich noch einmal Sixten und versprach, am nächsten
Freitagabend bestimmt zurückzukommen. Er hatte sich das inzwischen überlegt.
»Na?« fragte Papke, als sie an ihre Arbeit zurückkehrte.
»Alles okay«, sagte Rieke. »Sixten kommt
Freitag.«
Am nächsten Freitag kam Sixten nicht zurück,
rief auch nicht an. Er schickte nur eine Ansichtskarte aus Andechs, auf der
mehrere Leute unterschrieben hatten, deren Namen Rieke nur zum Teil entziffern
konnte. Paul und Lonka und Bussi und Gundi waren dabei.
Es schien Sixten anhaltend gutzugehen, endlich
einmal nach den langen, tristen Monaten der Beschäftigungslosigkeit und des
Selbstmitleids.
Friederike gönnte ihm das Vergnügen um so mehr,
als sie selbst ihre eigene Freiheit zu genießen begann.
Da war jetzt niemand mehr um sie herum, auf den
sie Rücksicht nehmen mußte. Niemand, der sie mit seinen Launen und Stimmungen
belastete. Sie brauchte sich nicht länger für Sixtens Schicksal
mitverantwortlich zu fühlen. Sie war wie von einem Druck befreit.
Frei und noch mal frei und wieder neugierig auf
ihre eigene Zukunft, die
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