Das kommt davon, wenn man verreist
Spezialitäten noch
angegriffenen Magen verdonnert hatte, sondern weil ihm das oberbayerische
Internat eingefallen war. Nach den Sommerferien hatte er dort auf Vaters Geheiß
anzutreten.
Allein bei dem Gedanken daran war er von Heimweh
zerfressen.
»Was soll ich hier? Was interessieren mich
europäische Belange? Ich mag hier nicht leben.«
»Es ist ihm bei uns zu kleinkariert«, erläuterte
Bob. »Vor lauter Verboten und Verordnungen habt ihr Scheuklappen um«, ereiferte
sich Pepe. »Erinnerst du dich an die große Kreuzung gestern, an der die Ampeln
ausgefallen waren? Auf einmal standen die Autofahrer hilflos da und wußten
nicht mehr weiter, weil einmal ihre Ordnung zusammengebrochen war. Ein Beispiel
nur — aber es ist typisch für alles hier. Ihr versteht nicht mehr zu
improvisieren — oder selbständig eine Verantwortung auf euch zu nehmen. Ihr —«
»Pepe!« mahnte Bob.
»Laß ihn ruhig reden«, sagte Rieke.
»Und ihr versteht nicht, großzügig zu leben.«
Danach wurde er bleich, legte die Hand über die Gürtelschnalle. »Entschuldigt
mich bitte —«, er hastete auf das Lokal zu. Ein Kellner wies ihm die Richtung.
»Erst schimpft er auf das Gastland, und dann
straft er auch noch den hiesigen köstlichen Aal, indem er ihn nicht verträgt«,
grinste Bob. »Zeugt das vielleicht von Lebensart?«
»Er ist fünfzehn«, nahm Rieke ihn in Schutz.
»Und er ist so voll Haß auf alles hier, weil er nicht her will. Mir ginge es
umgekehrt genauso.«
»Außerdem scheint er ein Mädchen drüben zu
haben, das den Eltern nicht paßt. Deswegen haben sie ihn wohl auch vorzeitig in
die Ferien geschickt.«
Sie tranken von ihrer Weißen mit Schuß, die
inzwischen warm geworden war, und sahen einem Kanu zu, das unter der
langhaarigen Perücke einer Trauerweide vor Anker ging.
»Und du fängst im Herbst in Mexiko an zu
arbeiten«, sagte Rieke.
»Am ersten Oktober.«
»Und vorher machst du drüben Urlaub.«
»Ja.«
»Mit Vera?«
Bob zögerte einen Augenblick, ehe er
antwortete.»Ja«, sagte er dann. »Wir haben es vor. Sie kennt Mexiko noch
nicht.«
»Sprecht ihr von Vera?« fragte Pepe, auf seinen
Gartenstuhl zurückkehrend. »Ich kann sie nicht leiden. Ich mag keine Mädchen,
die immer Mittelpunkt sein müssen. Immer redet sie und nur sie, dabei hat sie
gar nichts zu sagen.«
»Jose Maria!« Bob wurde ärgerlich.
»Wenn du sie heiratest, besuche ich euch nie!«
beendete Pepe das Thema Vera und sah auf seine, für einen Fünfzehnjährigen viel
zu kostbare Armbanduhr. »Ich weiß nicht, wie lange wir in die Stadt zurück
brauchen. Wir müssen noch unsere Taschen aus der Pension holen.«
»Ja«, sagte Bob, »es wird Zeit.« Und legte kurz
seine Hand um Riekes Hand. »Danke. Danke für alles.«
Sie wollten sie und Plumpsack zu Hause absetzen,
aber Rieke sagte, sie hätte noch genug Zeit, um sie zum Flughafen zu begleiten.
Dabei machten sie einen Umweg über das alte
Charlottenburg. Hier war es sommersonntags so still, daß man es weithin
drippeln hörte, wenn auf einem Balkon die Begonien und Schnittlauchtöpfe
begossen wurden.
In den Straßenlinden schilpten Spatzen.
Papke war leider nicht zu Hause.
»Entweder ist er beim Rennen oder Angeln.
Schade. Ich hätte euch gern die Werkstatt gezeigt.«
Auf dem Weg zum Flughafen versuchte Rieke, sie
ihnen wenigstens zu schildern. Den Duft von Leim und Lack und den nach
Weihrauch und Lavendel, der alten Kommodenfächern entstieg. Papkes beredtes
Schweigen, seine Katzen, in knochenloser Grazie über den Möbeln hängend. Der
Blick durchs offene Fenster auf den Hinterhof mit seiner kargen Sonnenration.
Die Geräusche, die aus den Fenstern von vier Stockwerken in den Hof
herunterfielen. Die Freude an jahrhundertealter Handwerklichkeit.
»Und dann müßt ihr euch Papke vorstellen. Eine
untersetzte Ringerfigur, breit, alles Muskeln. Rotweinnase. In seiner Jugend
war er aktiver Sozi. Er hat für seine Überzeugung sogar im KZ gesessen. Heute
ist er von jeder Politik zu enttäuscht, um sich noch leidenschaftlich
engagieren zu können. Er verbraucht wohl auch zu viele Kräfte im Zusammenleben
mit Rotraud. Das ist seine Dauerbraut. Sie putzt ihm seit 25 Jahren die
Werkstatt und das Privatleben, sie will nun endlich geheiratet werden, versteht
ihr? Papke mag aber nicht. Er hat Sorge, Rotraud könnte es als seine Frau an
der bisherigen Umsicht fehlen lassen und die Gnädige spielen. Das bedeutete,
daß er eine Hilfe für die niederen Hausarbeiten einstellen müßte, und
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