Das kommt davon, wenn man verreist
und
Wunschträume in die Gosse gekippt und nur noch nüchterne Ziele: 1. Zu Taschners
fahren und ergründen, warum man sie über 10 000 Kilometer hergelockt und dann
ihrem Schicksal überlassen hatte. 2. Den sauberen Brüdern Bob und Pepe in
unverblümten Worten mitteilen, was sie inzwischen für eine üble Meinung von
ihnen hatte. 3. Selbige nie mehr wiedersehen. 4. Ein deutsches Reisebüro
aufsuchen, Bildungsroute zusammenstellen lassen, Land und Leute auf eigene
Faust kennenlernen, bis Geld alle. 5. stand noch nicht fest.
Das Taxi raste krachend und klappernd eine
breite Straße hinunter.
Durch die offenen Fenster fegte kalter Zugwind
und spielte mit der Fransenumrandung eines Madonnenbildes oberhalb des
Fahrersitzes. Keiner sprach mit keinem. Sobald sie an einer Kreuzung bei Rot
halten mußten, schwärmten Kinder zwischen die Wagen, boten Kleenex, Kaugummis,
Lotterielose und Zeitungen an, putzten Scheiben und überlebten auf wunderbare
Weise das Anfahren der Automeute.
Vor ihnen raste ein Lastwagen, überladen mit
Säcken. Obendrauf hopsten haltlos drei Arbeiter umeinander. Es war nur eine
Frage der Zeit, wann der erste von ihnen herunterfallen würde. Sie überholten
einen uralten, gelben Omnibus mit Menschentrauben an den Türen. Polizeisirenen
wimmerten hysterisch durch diese Blechlawine ohne Rücksicht auf
Vorfahrtsregeln.
Zu Hause in Berlin wäre bei solcher unorthodoxen
Fahrweise längst der Verkehr zusammengebrochen. Warum gab es hier keine
Massenkarambolagen?
Das Taxi hielt. Ein Mitfahrer stieg mit seinem
Koffer grußlos aus.
Am Straßenrand lag ein überfahrener Hund. Ein
flaches Bündel Fell, von dem Stille ausging.
Sie verließen den Highway und fuhren einen
grünen Hügel hinauf. Rechts und links der schmalen Straße zogen sich lange,
hohe, abweisende Mauern hin, dazwischen offene Grundstücke mit Elendsbaracken
aus Steinen, Kistenbrettern und Wellblech.
Es wimmelte von Kindern und mageren Hunden.
Das Taxi hielt vor einem hölzernen Tor. Der
Fahrer, ein Indio, sah sich auffordernd nach Rieke um.
Sie schüttelte den Kopf. Nein. Das mußte ein
Irrtum sein.
Hier wohnten Taschners bestimmt nicht.
Sie hielt ihm die Adresse vor die Nase. Er
nickte, denn er konnte lesen, stieg aus und holte ihr Gepäck aus dem
Kofferraum.
Nun stand sie vor dem großen Tor, allein
gelassen in der Fremde, und suchte nach einem Namensschild und fand keins und
suchte nach einem Klingelknopf und fand keinen und genierte sich, Huhu zu
rufen.
Mit ihr warteten ein Greis, mehrere Kinder und
herrenlose Hunde auf das, was kommen würde. Rieke beschloß, mit den Fäusten
gegen das Tor zu bummern.
Es dröhnte schön und reagierte die Aggressionen
ab, mit denen sie bis in die Ohrläppchen geladen war.
Hinter der Mauer kreischten zornige Hündchen.
Es öffnete sich schließlich eine Luke in der
Mauer wie ein Fenster in einem Weihnachtskalender, und ein rundes,
olivenhäutiges Männergesicht wurde sichtbar. Kein Lächeln.
Kühles Mustern von Rieke, ihrem Reisegepäck und
ihrem Straßenanhang, der inzwischen auf dreizehn Elemente — zwei- und
vierbeinige — angewachsen war. »Hier wohnen Taschners, ja? Ich Friederike
Birkow. Ich hier Visite!« Sie brüllte ihre Sätze langsam und in gebrochenem
Deutsch. Das hatte sie im Umgang mit den Haustürken gelernt.
Das Olivengesicht verschwand. Die Klappe ging
zu. Das Tor ging auf.
Rieke trat ein. Aber wo hinein! Sie glaubte zu
träumen. Im Schutz der hohen, von Bougainvilleas in allen Farbtönen zwischen
hellem Pink und tiefem Lila überwucherten Mauern breitete sich
jahrhundertealter Wohlstand aus. Ein Herrenhaus im spanischen Kolonialstil,
umblüht von Hibiskushecken, überdacht von Palmen. Wenn nur nicht diese
verflixten, kleinen Hündchen gewesen wären — zwei nackichte Chihuahuas und ein
Griffonterrier, die in ihre Hacken zu zwischen versuchten. Riekes Füße wehrten
sich dagegen mit Bewegungen, als ob sie Charleston tanzten.
Eine wunderschöne junge Frau stand plötzlich im
Eingang. Sie war »so weiß wie Schnee, so rot wie Blut, so schwarz wie Ebenholz«
und so plump und klein wie Sancho Pansa.
Rieke ging auf dieses Schneewittchen zu.
»Ich bin Friederike Birkow.«
Fragender, nichts begreifender Blick aus
schwarzen El-Greco-Augen.
»Aus Berlin.«
»Ja, bitte?«
Wenigstens sprach Schneewittchen Deutsch.
»Sind Sie Frau Taschner? Pepes Mutter?«
»Ja.«
»Wissen Sie nicht, ich meine —«, es war so
peinlich, »ich bin hier eingeladen. Von Ihrem Sohn.
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