Das kommt davon, wenn man verreist
oft
er es hören wollte. »Ich habe großes Glück mit Ihnen.«
»Ja, dis haste.«
Er brachte sie am letzten Abend sogar bis zur
Haltestelle und wartete mit ihr auf den Omnibus. Und zerbrach sich dabei ihren
Kopf: »Weeßte, einerseits is dis mit ‘m Charter ne bong Idee, aba andererseits
—! Wenn et drüben nu Mist is, kannste nich einfach abhauen und mit der nächsten
Maschine retour. Dis jeht nu nich mehr. Nu mußte drüben ausharren, ejal, wat
kommt, bis daß de mit ‘m Rückflug dran bist.«
Der Bus kam. Sie umarmten sich.
»Na denn, Kleene, wird schon schiefjehn.«
Beim Einsteigen rief sie ihm zu: »Ich bring’
Ihnen auch was mit.«
Papke trabte plattfüßig neben dem anfahrenden
Bus her: »Aba — horste — nischt mit ‘n Aztekenkalenda druff!« Ich hab’s gut,
dachte Rieke im Gedrängel auf der hinteren Plattform, während der Bus den
Kurfürstendamm Richtung Halensee hinaufschaukelte, ich habe ein paar richtig
gute Freunde.
Frau von Arnim aus der Beletage borgte ihr ein
spanisches Lexikon aus dem Jahre 1912 und stopfte sie mit guten Ratschlägen
voll betreffs der Behandlung von Eingeborenen, Flohstichen, Schlangenbissen und
Erdbeben, denn sie hatte zwischen den Weltkriegen Vorderasien bereist und kannte
sich aus. Außerdem pumpte sie Rieke ihren wundervollen, stabilen
Rindslederkoffer mit Messingbeschlägen. Sein Eigengewicht erreichte bereits
ohne Inhalt das Höchstgewicht für Fluggepäck. Den Koffer abzulehnen hätte
jedoch bedeutet, die Oberstwitwe zu kränken. Und das wollte sie auf keinen
Fall.
Also versteckte sie den adligen Koffer für die
Dauer ihrer Abwesenheit unter ihrem Bett und würde ihn am Tage ihrer Rückkehr
zusammen mit einem mexikanischen Mitbringsel in die Beletage zurückbringen.
Rieke hatte nicht nur ihre Reise gründlich
vorbereitet, sondern auch den Notfall: »Falls ich abstürzen sollte, kann mir
keiner nachreden, ich wäre zu Lebzeiten eine Schlampe gewesen.«
Sie verließ ein aufgeräumtes, geputztes,
wohlgeordnetes Heim.
Sixten hatte ihr mit steigendem Unbehagen
zugesehen. Auch wenn es nicht mehr so wie früher zwischen ihnen war, auch wenn
sie sich ihm seit Wochen mit zerknirschtem Blick und mütterlichem
Wangestreicheln entzogen hatte — er hing noch immer sehr an ihr. Rieke war sein
Rückgrat, sein einziger Halt zur Zeit. Er hatte Angst, sie zu verlieren.
»Paß bloß gut auf dich auf!«
Rieke wiederum hatte ein schlechtes Gewissen
Sixten gegenüber. Sie fühlte sich ungerecht vom Schicksal bevorzugt — ohne
jedoch bereit zu sein, um der Gerechtigkeit willen auf diese Reise zu
verzichten — so konsequent schlecht war ihr Gewissen nun auch wieder nicht.
»...und außerdem sind es ja bloß vierzehn Tage!«
Vor lauter Sorge, ihre drei Wecker zu überhören, schlief sie in dieser Nacht
erst gar nicht ein.
Die Tür zu Sixten war angelehnt. Sie hörte ihn
im Bett rotieren auf der Suche nach Schlaf.
»Sixten?«
»Hm, ja?«
»Komm mal her...«
Er tappte im Dunkeln in ihr Zimmer. Blieb vor
ihrem Bett stehen und wußte nicht, was nun werden sollte... sie war ihm so
lange aus dem Weg gegangen.
Rieke lüftete ihre Decke und rutschte ein
Stückchen zur Seite und machte sie erst wieder zu, als sie ihn neben sich
spürte.
Sehr leidenschaftlich war keinem von beiden
zumute, aber es war gut, sich im Arm zu halten.
Einmal hatten sie sich sehr liebgehabt...
»Komm bloß wieder«, sagte Sixten.
7
Friederike kam es so vor, als ob die Maschine
von Abgeordneten des Vereins der bundesrepublikanischen Fettleibigen gechartert
worden wäre, und es wunderte sie, wie sie bei so viel Übergewicht überhaupt an
Höhe gewinnen konnte.
Sie selbst saß zwischen zwei Mastexemplaren
eingekeilt, von ihren Schnarchern und Ellbogen bedrängt. Ab und zu sackte ein
Kopf auf ihr Territorium über. Der Liegesitz vor ihr hing durch bis auf ihre
Nasenspitze, der sollte auch einmal repariert werden.
Atemnot, unterstützt von Platzangst, stellte
sich ein. Und zu allem ging ihr ein Lied von Reinhard Mey nicht aus dem Sinn:
»Über den Wolken muß die Freiheit wohl grenzenlos sein...«
Ein Lied, zu dem die Idee in einem mehrstündigen
Verkehrsstau auf der Autobahn beim Anblick eines einsam ziehenden Fliegers
geboren sein mochte, auf gar keinen Fall in einer proppenvollen, nächtlichen
Chartermaschine.
Als Rieke endlich in einen hauchdünnen
Schlafdämmer entschwebte, wurde warmes Mittagessen serviert, das war so um zwei
Uhr nachts und genau das, was sie um diese Zeit
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