Das kommt davon, wenn man verreist
neutrale Pufferzone
zwischen sich und seine Eltern zu schieben gedachte. Denn in diesem Hause gab
es offenbar schwerwiegende Probleme, von denen Rieke nichts ahnte.
»Wo ist Bob?« fragte sie.
»In Monterrey oben. Pausenlos auf
Geschäftsreisen für meinen Vater. Aber morgen kommt er wieder.«
Maria servierte frischen Kaffee und Früchte. Mit
ihr stürmten die Chihuahuas in den Speisesaal. Ihr Gekläffe traf hier auf
besonders gute Akustik.
Pepe verdrehte entnervt die Augen. »So geht das
den ganzen Tag. Bob würde sie am liebsten über die Mauer schmeißen und dafür
ein paar Herrenlose adoptieren. Er meint, die wären im kleinen Zeh
intelligenter als unsere Luxuskläffer. Aber das tut er Mama natürlich nicht an.
Straßenköter in diesem Hause, das wäre für sie beinahe dasselbe, als wenn die
Roten bei uns einbrächen und auf ihre Seidensofas hopsten. — Wie geht es
übrigens Plumpsack?«
»Danke. Er läßt grüßen.«
»Du mußt Limonensaft auf die Papayas träufeln.
Warte —«, er wollte es selbst tun, aber Rieke hielt seine Hand fest.
»Was ist hier los?«
»Ja, weißt du-eigentlich wollte ich es dir schon
am Telefon erzählen, aber du hast ja kein Telefon. Und dann wollte ich es dir
schreiben, aber... und dann habe ich mir gedacht, Rieke erfährt es ja sowieso,
wenn sie kommt.« Er suchte in seinen Bademanteltaschen nach Zigaretten und
Feuerzeug. »Für meine Mutter ist es eine Katastrophe!« und machte ein paar
tiefe Lungenzüge.
»Eine Tragödie! Stell dir vor, sie ist
Großmutter geworden. Mit 37 Jahren Großmutter. Die Ärmste!«
Sie tat ihm wirklich herzlich leid.
»Großmutter — von wem?«
»Von einem Mädchen.«
»Ich meine — wessen Kind? Bobs?«
»Bobs?« Pepe hatte plötzlich eine gockelhafte
Überlegenheit in der Stimme, als ob er seinem Halbbruder so etwas niemals zutrauen
würde. »Der hat damit gar nichts zu tun. Ich bin der Vater.«
Sie starrte ihn an. Sein rundes, gefälliges
Muttersöhnchengesicht mit den Pubertätspickeln. Fünfzehn Jahre. Er mußte sich
höchstens alle Woche einmal rasieren. Es war zuviel für Rieke.
Sie platzte los. Entschuldigte sich sofort bei
Pepe dafür. Lachte dennoch weiter. War aufgestanden, ging durch den Speisesaal.
Mußte sich auf eine altspanische Truhe setzen. Ein heiliger Georg geriet dabei
ins Wackeln. Pepe verfolgte ihren Heiterkeitsausbruch mit erzwungenem Lächeln.
»Weißt du, so saukomisch ist das gar nicht für
uns«, sagte er schließlich.
»Tut mir leid«, bedauerte sie aufrichtig und biß
sich fest in die Backentaschen, das verminderte den Lachreiz. »Ich wollte dich
nicht kränken, bestimmt nicht.«
»Ich möchte dich auch bitten, vor meinen Eltern
ernst zu bleiben. Ihnen fehlt so völlig der Humor in dieser Angelegenheit.«
»Das kann ich mir denken.« Rieke nahm seinen
Kopf zwischen ihre Hände und gab ihm einen Kuß. »Väterchen!« Und konnte es
nicht fassen.
»Es ist also ein Mädchen! Erzähle! Wann ist es
geboren?«
»Vor sieben Tagen. Morgens um zwei Uhr
fünfundfünfzig.« Und vorwurfsvoll: »Ich habe gehofft, du kämst rechtzeitig. Wir
hätten dich so gebraucht!«
»Aber wieso gerade mich?«
»Na, was glaubst du, was hier los war! Krieg du
mal mit fünfzehn ein Kind! In Mexiko! In unseren Kreisen! Meine Mutter allein
hätte es ja noch verkraftet. So wie ich sie kenne, hätte sie gleichzeitig
gejammert und Babysachen gehäkelt. Aber ihre Schwestern! Und ihre Freundinnen-!
Die haben sie völlig fertiggemacht!«
»Wann hast du es ihr gesagt?«
»Drei Tage vor der Geburt.«
»Oh — schon so bald!«
Pepe überhörte die Ironie. »Ich erspare ihr
Unannehmlichkeiten, solange es geht.« Ein rücksichtsvoller Sohn. »Wenn du
dagewesen wärst, Rieke — du denkst praktisch und modern. Du hast keine
Vorurteile. Ich habe mir so viel von deinem Kommen versprochen! Auch für Malinche.
Sie hatte ja praktisch niemand außer mir.«
Zum ersten Mal sprach Pepe nicht von seiner
Mutter, sondern von seinem Mädchen.
»Wie alt ist sie? Auch fünfzehn?«
»Nein, schon sechzehn. — Es war übrigens eine
leichte Geburt.«
Rosina erschien in der Tür und richtete Pepe
eine längere Botschaft aus.
»Dein Zimmer ist gerichtet. Außerdem läßt Mamita
anfragen, ob wir sie zum Einkaufen begleiten wollen«, übersetzte er. »Magst
du?«
Die Gästezimmer und Bobs Apartment gingen auf
einen Innenhof mit Springbrunnen, Vogelvolieren und phantastischen, künstlichen
Blumenarrangements.
Eine Steintreppe wendelte zum ersten
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