Das kommt davon, wenn man verreist
noch
einmal, bis Rieke na, na dachte, nun reicht es aber.
»Bring mir Pepito wieder, hörst du? Bring ihn
mir — und paß auf dich auf.«
Vielleicht war das gar nicht so dumm, einen
Witwer mit großem Sohn zu heiraten. Hatte man im Notfall was Extras zum
Anlehnen im Haus. Sie fuhren vom Hof. Die hohen Tore schlossen sich hinter
ihnen automatisch.
Rieke fühlte sich befreit von einer Umgebung, in
der sie so sehr gefroren hatte. Und sie durfte diese lärmende, rücksichtslose,
vom Smog belagerte, für ihren Bedarf viel zu großgewucherte Stadt verlassen.
In den Elendsbuchten in ihrer Straße war man
schon munter. Rieke bat Bob, langsam zu fahren. Sie griff in die Plastiktüte
mit dem Fleischfutter und warf zwei Hände voll nach den mageren Hunden, die
sich auf dem Pflaster in der Morgensonne wärmten.
Bob wunderte sich kurz über die Herkunft ihrer
Fleischvorräte.
»Geklaut?« fragte er.
»Was denn sonst?!«
»Sehr gut.« Er litt sich jedes Wort aus dem Mund
dank der ausgiebigen Party bei den Kirchsteins, von der er im Morgengrauen
heimgekehrt war.
Rieke strapazierte ihn deshalb nicht länger mit
unnötiger Konversation.
Sie deckte sich mit ihrer Jacke zu und bemühte
sich, darunter nicht zu frösteln, denn nun fuhren sie in die Berge hinauf, wo
die Luft noch kälter und noch dünner war als im hochgelegenen Mexico City.
Das Auto hatte keine Heizung. Das Haus hatte
auch keine Heizung gehabt. Waren die Menschen hier so abgehärtet oder hatte
ihnen einer erzählt, in Mexiko wäre es immer und überall schön warm? Sie fuhren
höher und höher, und das Land unter ihnen wurde immer weiter, und immer neue
Berge tauchten in ihm auf.
Bisher war es ihr egal gewesen, wohin die Suche
führte. Hauptsache von der City fort in die Weite und Stille. »Wohin fahren wir
eigentlich?« fragte sie in Paßhöhe. »Zuerst nach Cuernavaca«, sagte er, »im
Staate Morelos.«
»Oh«, erschrak Rieke, »den Namen kenne ich. Da
sollten wir mit tausend Verwandten und Freunden das Wochenende verbringen. Da
ist Pepe garantiert nicht hingetürmt.«
»Garantiert nicht«, versicherte Bob. »Wir gehen
dort nur zur Messe.«
»Oh«, sagte Rieke noch einmal, tief beeindruckt.
»Erzähl mir von Cuernavaca.«
»Es ist die nächstgelegene Stadt mit
subtropischem Klima bei der City. Hier hat man sein Wochenendhaus, wenn man
hat. Hier geht man in Pension — wenn man kriegt.«
Unter ihnen tauchten vereinzelte Palmen am
Abhang auf, später auch Limonenbäume und Bananenstauden. Rieke nahm erleichtert
ihre Jacke von den Schultern. Soweit sie über die Gewohnheiten von Bananen
orientiert war, weigerten dieselben sich strikt, in kühlen Zonen zu gedeihen.
Rieke war klimatisch endlich auf dem richtigen Wege.
Die Kathedrale von Cuernavaca war eine der
ältesten Kirchen Mexikos. Nach der Renovierung und Modernisierung ihres Inneren
war sie auch eine der schönsten. Bob führte Rieke durch den Mittelgang an
jungen Müttern, die ihre Säuglinge nährten, spielenden Kindern und
filigranzarten Greisinnen unter vergilbten Spitzenschleiern vorbei in die erste
Bankreihe.
Vor ihnen richtete sich eine Musikkapelle ein —
neun Musikanten und ein Sänger — , obenherum blütenweiß gefältelt, unten
kurzbeiniges, strammsitzendes Schwarz mit drei Reihen Silberknöpfen.
»Ist das die Orgel?«
»So ungefähr. Jeden Sonntag ist hier
Mariachi-Messe. Mariachis sind Straßenmusikanten. Man kann sie mieten. So wie
ich Pepe kenne, hätte er dich bestimmt mit einer Kapelle am Flughafen empfangen
— wenn er gewußt hätte, wann du ankommst.«
Rieke dankte zum erstenmal ihrem Telegramm
dafür, daß es verschüttgegangen war. Sie gehörte nicht zu dem Typ, der
Ständchen schadlos verkraftete. Sie ging in selbigen gleich dreimal unter —
einmal vor Verlegenheit, einmal in der Angst vor einem hysterischen Lachkoller
und zum dritten und peinlichsten: in tränenreicher Rührung.
Sie sagte das Bob und ließ ihn schwören: »Von
mir aus bezahle eine Kapelle dafür, daß sie nicht spielt — hat sie wenigstens
keinen finanziellen Ausfall. Aber bitte, bitte niemals ein Ständchen für mich!«
Er schwor es ihr.
Ein duftiges Mädchen im Sonntagskleid ging herum
und verteilte den Messetext.
Dann ging es los.
»Huiija!« So eine rhythmisch mitreißende Musik
hatte Rieke noch nie in einer Kirche vernommen. Sie ging ins Gemüt und ins Blut
— und Bob buffte sie in die Seite. »Steh still. Du rockst.«
Der Vorsänger schmetterte das Angelus zu den
Kirchenfenstern
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