Das kommt davon, wenn man verreist
sich an und lachten und freuten sich.
»Schön, daß du da bist, Rieke. Weißt du noch, mit welchen Beinen die Kuh zuerst
aufsteht?«
»Nein.«
»Ich auch nicht. Aber dafür kann ich dir hier
jede Menge Amöben bieten. Du brauchst nur den Wasserhahn aufzudrehen.« Bob
legte die Hand auf ihren Arm. »Aber nun erzähle!«
Erzählen? Ja, wo sollte sie da anfangen? Rieke
dachte kurz nach und erinnerte sich erschrocken: »Pepe ist durchgebrannt!«
Durch das Taschnersche Anwesen war während
Riekes Abwesenheit der große Besen gefahren und hatte die Sippe der Señora samt
deren Personal in die Autos und dieselben vom Hoftor gefegt.
Man würde es ihm nicht zutrauen, wenn man ihn
seinen Leinsamen einspeicheln sah, aber Herr Taschner senior hatte diesen
Kraftakt ohne Untermann und ohne Netz vollbracht. Seine Frau war zu außer sich
über Pepes Flucht, um ihn daran zu hindern. Im Hause herrschte wieder Ruhe bis
auf ihr lautes Schluchzen, das Zwitschern der Vögel und das Lustgehechel der
Zierhündchen. Sie trieben es — wie üblich — miteinander, unterbrachen jedoch
ihren Zeitvertreib, als sie den Wagen in den Hof fahren und Bobs Stimme hörten.
Ausgerechnet ihn, den einzigen, der ihnen einen Tritt zu versetzen wagte, wenn
sie an die Sofas pinkelten, liebten sie abgöttisch.
Herr Taschner erhob sich und ging auf seinen
Sohn zu, seine Frau fiel ihm schluchzend um den Hals.
»Bobo, was sagst du dazu? Eine Katastrophe!«
Beide klammerten sich an den Ältesten, als ob er
die Wendung zum Guten, zumindest Pepes Fluchtadresse in der Rocktasche hätte.
Im Hintergrund räumten Rosina und Maria in
Zeitlupe die Reste der Erfrischungen und die Gläser einzeln ab, um ja nichts zu
verpassen.
Bob führte seine Stiefmutter — wieviel mochte
sie älter sein als er? Höchstens acht, neun Jahre — zu ihrem Sofaplatz zurück
und setzte sich neben sie.
»Friederike hat mir schon berichtet. Weine
nicht, Isabella, Pepe tut sich bestimmt nichts an. Einer, der mit zwei schweren
Reisetaschen türmt, denkt nicht ans Sterben.« Diese ihrer Meinung nach dem
Ernstfall nicht angemessene Logik tröstete Frau Taschner nicht.
Wo war er hin, ihr Chiquito? Warum hatte er ihr
das angetan?
»Überlege lieber einmal, warum er es getan hat«,
gab ihr Mann zu bedenken.
»Es könnte sein wegen — wegen heute nacht«,
überlegte Rieke.
»Wieso? Was war heute nacht?«
»Pepe und ich waren noch in der Küche, da rief
Malinche an. Sie war sehr verzweifelt, weil ihr Vater sie und das Kind heute
früh aus Mexico City fortbringen wollte. Nicht einmal verabschieden durfte sie
sich mehr von
Pepe.«
»Und Pepito?«
»War natürlich auch verzweifelt.«
»Hat sie ihm gesagt, wohin sie gebracht wird?«
fragte Herr Taschner.
»Wahrscheinlich. Aber Pepe hat es mir nicht
gesagt«, bedauerte Rieke. »Ich hab’ihn auch nicht gefragt...« Es entstand ein
langes, gedankenträchtiges Schweigen, in dem man Riekes Magen anzüglich
aufknurren hörte. Es war ihr peinlich.
Aber daß so niemand Notiz von ihm nahm, war noch
peinlicher für ihren hungrigen Magen. Er kam hier so selten zu geregelten
Mahlzeiten.
Isabella Taschner brach plötzlich wieder in
Wehklagen aus, das selbst ihr Chihuahuamännchen rührte. Er hüpfte auf ihren
weichen, ausladenden Schoß.
Herr Taschner stand auf und verließ die
Wohnhalle. Irgend etwas ertrug er hier nicht mehr. Rieke auch nicht. Das war
das klamme Klima.
Die Señora schluchzte an Bobs Schulter gelehnt:
»Er flieht mit ihnen — ich sehe sie vor mir — wie Maria und Josef mit dem
Jesuskind — selbst noch solche Kinder — ja, haben sie denn überhaupt Geld?«
Bob streichelte ihre Schulter und schaute dabei
zu Rieke herüber. War ganz ernst bis auf die Sommersprossen. »Liebe Isabella,
ich kenne meinen Bruder nur flüchtig, aber immerhin gut genug, um sicher zu
sein, daß er nicht der Josef ist, der bargeldlos auf eine Flucht geht. Er hat
ja schließlich sein Konto.«
Das beruhigte Frau Taschner ein wenig. Sie
suchte nach ihrem Taschentuch. Saß drauf. Zog es vor und schnaubte. Das Weinen
hatte aus ihrer Schönheit eine schöne Ruine gemacht. »Bobbo«, sagte sie
plötzlich ganz ruhig, »wohin würdest du fliehen?«
»Ich?« Die Frage kam überraschend für ihn. Er
überlegte. »Mit einem Mädchen? Nun — vielleicht nach Puerto Vallarta, Acapulco,
Cancun oder Cosumel...«
»Du denkst sofort an Urlaub«, rügte sie ihn.
»Und du denkst zuviel an Bethlehem, liebe
Isabella.« Jetzt mischte sich Rieke ein.
»Ich glaube
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