Das kommt davon, wenn man verreist
Tage
ihres Hierseins durchgegangen war, fühlte sich Rieke etwas ratlos, wenn sie an
die weitere Gestaltung ihres Aufenthaltes in diesem Lande dachte. Bob würde ihr
bestimmt mit Vorschlägen und Taten beistehen.
Über frisch gebügelte Frisuren, Strohhüte und
winkende Hände hinweg sah sie ihn näher kommen.
Er latschte ein bißchen. Sein Jackett mit den
verlederten Ellbogen hing lose um ihn herum. Den Schlips hatte er ein Stück vom
Hals gezogen. Er trug gern waschblaue Hemden. Es gab keine bessere Farbe für
seinen rotbraunen Schopf. Frisch gewaschen fiel er ihm bis auf die Augenbrauen.
Die Augen waren so blau wie das Hemd.
Was für einen breiten, lachbereiten Mund er
hatte. Und was für einen unerschöpflichen Vorrat an Sommersprossen.
Riekes Freude hopste über die Barriere direkt um
seinen Hals herum, ließ ihn gar nicht wieder los. Gleichzeitig war sie zu
befangen, durch Winken auf sich aufmerksam zu machen.
Vielleicht hob er von selbst den Kopf und sah
sie und freute sich, sie zu sehen.
Bob hob den Kopf und freute sich über ein
blondes, geblümtes Mädchen, das keine Hemmungen hatte, ihre Arme um seinen Hals
zu schlagen.
»Bobo!«
»Ja, Ulla — ja, gibt’s dich auch noch? Sag bloß,
du holst mich ab! Woher weißt du überhaupt...?«
»Ich habe deinen Vater angerufen.«
Er übergab sein Gepäck einem Träger, das Mädchen
hängte sich bei ihm ein. So gingen sie davon.
Rieke ging hinterher. Nun reichte es ihr. Sie
mochte nicht mehr mitspielen. Empfand plötzlich ziehendes Heimweh nach
Plumpsacks Plumpvertraulichkeiten und nach Papke auf seinem behäbigen
Wachstuchsofa. Stellte sich vor, wie sie ihm ihre ersten Tage in dieser Stadt
schildern würde, und überlegte sich seine Reaktion darauf.
»Mann! Du tickst woll nich janz richtig. Kriegst
‘n Billett nach Mexiko jeschenkt und wat machste draus? Janischt machste draus.
Hängst bei diese Typen rum, anstatt mit ‘n nächsten Bus ab die Post und die
Jejend bekieken. Wozu biste denn sonst so weit rüberjemacht?« Papke hatte ja so
recht.
Rieke ging noch immer in einigem Abstand hinter
Bob und dem Mädchen her zum Wagen, aber nicht mehr wie ein begossener Pudel,
sondern wie ein getrockneter.
Ja, wie kam sie eigentlich dazu, sich noch immer
von Taschners abhängig zu fühlen!?
Nur weil sie fremd hier war und knapp im
Portemonnaie? Andere junge Leute kamen mit viel weniger Geld noch viel länger
als 14 Tage in diesem Lande über die Runden.
Wo war ihre von Sixten ebenso geschätzte wie
gefürchtete Aktivität geblieben? Ja, wo war sie, verdammt noch mal...!? Rieke
sah sich suchend nach ihr um.
Bob sah sich nach seinem Träger um. Dabei fiel
ihm ein großes, sportliches Mädchen mit einem bemerkenswert aggressiven
Gesichtsausdruck auf, das ihm bekannt vorkam.
Er begriff erst beim zweiten Hinschauen, daß es
Rieke Birkow war, weil er sie in dieser Umgebung nicht vermutete.
»Entschuldige, Ulla«, sagte er, ließ seine
Abholerin im Stich und ging auf Rieke zu. »Das darf doch nicht wahr sein! Ja,
warum erzählt mir denn keiner, daß du hier bist?«
Er küßte sie auf beide Wangen und freute sich
aufrichtig, doch, das tat er.
»Ulla, das ist Rieke Birkow aus Preußen. Ulla
Kirchstein. Unsere Eltern wollten uns schon als Kinder miteinander verloben.
Inzwischen haben sie es wohl aufgegeben.« Er ging zwischen ihnen weiter. »Rieke
ist eine gute Freundin von Pepe und mir.«
»Ah so.« Ulla Kirchstein wirkte leicht
verstimmt. Mexico City war ihre Domäne. Da vertrug sie ungern eingeflogene
Rivalitäten. »Kennt ihr euch schon lange?«
Rieke und Bob sahen sich an und lachten.
»Alles in allem vielleicht dreißig Stunden.«
»Aber was haben wir in denen angestellt! Im
trüben gefischt. Handarbeiten gemacht. Erste Hilfe geleistet.«
»Zweite Hilfe«, verbesserte Rieke. »Gundi und
Bussi waren vor uns da.«
»Berlin vergewaltigt. Und gedichtet, das heißt,
du hast gedichtet. Kannst du’s noch?«
Ulla reichten die bisherigen Kostproben ihrer
kurzen, gemeinsamen Vergangenheit, sie wollte nicht auch noch den Vortrag von
selbstgemachten Gedichten erleiden.
»Hör zu«, wandte sie sich an Bob. »Ich bin
gekommen, um dich einzuladen. Ich gebe heute abend eine Party. Ab neun. Absagen
gilt nicht.«
Bob brachte sie zu ihrem Auto und versprach, am
Abend vorbeizuschauen.
Dann stieg er zu Rieke in den Fond des
Taschnerschen Wagens. Was für eine Abfahrt vom Flughafen im Vergleich zu ihrer
gestrigen!
Gestern halbmast. Heute Salutschüsse.
Sie sahen
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