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Das kommt davon, wenn man verreist

Das kommt davon, wenn man verreist

Titel: Das kommt davon, wenn man verreist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Noack
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hinauf, in denen sich das Sonnenlicht bernsteinfarben brach.
Die Menge sang »Estribillo«. Rieke sang auch Estribillo vom Blatt »en mi Dios,
mi Salvador...«, dann verlor sie den Anschluß an das weitere. Die Vikare, ganz
in Weiß, waren aufgetreten und zuletzt der junge, intellektuell wirkende
Pfarrer in einem weißgrünen, hochmodernen Talar. Er predigte in ein
Handmikrophon, das war nötig, denn die anwesenden Babys quengelten, Glocken
läuteten in einem fort, Mütter eilten ihren herumrennenden Kindern nach, und
immerzu klappten Türen, weil neue Besucher die Kirche betraten, darunter
ortsansässige Amerikaner, die jungen Mädchen und noch lieber jungen Männern die
Mariachimesse vorführen wollten, in ihren Gesten verstohlene Verliebtheit.
    Bob sah rechtzeitig einen kurznackigen,
schnauzbärtigen, weißgekleideten Señor mit je einem Kind an der Hand, gefolgt
von mehreren puppenhaften Hennen den Mittelgang heraufstolzieren. »Achtung!«
zischte er Rieke zu und zog sie geduckt aus der Bankreihe an einer kniend
betenden Indiofamilie vorbei einem Seitenausgang zu.
    »Sag mal, wer ist hier eigentlich auf der Flucht
— Pepe oder wir?« fragte sie, als sie den sonnigen Vorhof erreicht hatten.
    »Das war Onkel Vicente mit Familie, ein Bruder
von Isabella. — Oder hättest du ihn gerne kennengelernt?«
    »Mensch, komm bloß«, sagte Rieke und zog ihn
weiter.
     
    Bob kurvte durch bewaldete Hügelketten, die die
Regenzeit grün gefärbt hatte. Eine Ziegenherde — braun, schwarz und honigfarben
bezottelt, wälzte sich meckernd den Abhang hinunter und über die Straße, auf
der sie fuhren. Sie mußten anhalten. Hütehunde versuchten, in ihre Autoreifen
zu beißen. Sie ließen den Wagen stehen und stiegen zu einer Pyramide hinauf.
Bob sprach von Maja- und Toltekeneinflüssen und freute sich über die archaische
Landschaft, die er ihr bieten konnte.
    Rieke sah unterhalb der Pyramide zwei
skelettartige Hunde, blaß wie Maden, den gerölligen Boden nach Eßbarem
absuchend.
    Was interessierten sie noch die Ausgrabungen,
auf denen sie herumturnten, sie wollte zum Wagen hinunterlaufen und ihren
Fleischsack holen, aber Bob, der ihre Gedanken erriet, hielt sie zurück.
    »Du tust ihnen keinen Gefallen, wenn du sie
jetzt vollstopfst. Erstens vertragen sie es nicht mehr, und zweitens regt es
ihren Hunger wieder an.«
    Auf der Weiterfahrt war sie sehr ruhig.
    »Was ist los?«
    »Immer wenn ich mich hier freuen möchte, sehe
ich etwas, was mir die Lust am Freuen nimmt.«
    »Du kommst mir vor wie die Reichen, die es den
Armen übelnehmen, daß sie ihnen durch ihren unerfreulichen Anblick die Laune
verderben.«
    Er hupte, um einen Esel von der Straße zu
vertreiben. »Rieke!«
    »Ja?«
    »Tust du dir einen Gefallen?«
    »Mir?«
    »Hör endlich auf, an jedem Rind, das uns vor den
Kühler rennt, die Rippen zu zählen. Zerfließ nicht bei jedem lahmen alten Roß
vor Mitleid. Das hier ist Mexiko und nicht Oberbayern. Okay?«
    »Okay«, sagte Rieke, wenn auch zögernd, denn sie
hatte gerade ein paar zerlumpte Kinder entdeckt, die, am Wegrand hockend,
kleine Rosensträuße zum Verkauf anboten.
    »Halt doch mal an!«
    »Warum?«
    »Ich muß mal«, sagte Rieke und nahm beim Aussteigen
ihr Portemonnaie mit.
     
    Ihr erstes Ziel war ein Wochenendhaus am See
Tequesquitengo. Die Familie benutzte es nur noch selten, höchstens die Jugend
kam manchmal heraus, um Wasserski zu laufen.
    Während sie die Uferstraße entlangholperten,
sagte Bob: »Flucht, verbunden mit Wasserski, ist keine schlechte Sache.«
    »Du bist ironisch«, rügte ihn Friederike. »Du
weißt nicht, wie Pepe und Malinche zumute sein mag — und dann noch mit dem
Baby...«
    Links von der Straße neigten sich blumenreiche
Gärten zum See. Hühner rannten gackernd über die Straße, Truthähne kollerten
aufgebracht. Unter einem Strauch hatte sich eine riesige, rotbraune Sau
eingebuddelt.
    »Da vorn ist es.« Bob fuhr auf ein Tor zu,
dessen Türen nur angelehnt waren. Er stieß sie mit dem Kühler auf und rollte in
die grüne Wildnis bis unter eine Kokospalme. Sie stiegen aus.
    Während er die Körbe und Taschen ins Haus trug,
sah sich Rieke um.
    Registrierte eine verkommene weiße Villa mit
vorgebauter Säulenveranda und Sonnenterrassen, von Bougainvilleas überwuchert.
Im Garten süßduftender, weißsterniger Jasmin, Limonenbäume, Bananenstauden, Kakteen
und all das andere, was für einen norddeutschen Touristen zum Wunschbild
subtropischer Ferien gehört.
    Rieke sagte endlich:

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