Das kommt davon, wenn man verreist
nicht, daß sie an irgendeinen
Ferienort fahren. Sie fliehen ja nicht in die Welt, sondern vor der Welt, die
sie auseinanderbringen will.«
Auch in ihrer Vorstellung schien die
Maria-und-Josef-Version mit dem kleinen Jesuskind im mexikanischen Umschlagetuch
Gestalt anzunehmen.
»Also gut«, lenkte Bob ein. »Wenn ihr meint, daß
sie sich verstecken wollen, dann werden sie am ehesten Orte aufsuchen, die
ihnen bekannt sind. Deine Familie, Isabella, hat doch noch leerstehende
Landhäuser. Zum Beispiel das Dingsda bei San Miguel mit den vielen Ställen...«
Er brach erschrocken ab. Hatte er »Ställe« erwähnt? Hatte der biblische Stall
inzwischen auch seine Phantasie infiziert?
»Das haben wir nicht mehr«, sagte Isabella. »Das
ist verkauft.« Und dann erklärte sie entschieden: »Ich gehe nicht von diesem
Telefon hier fort, bis ich Nachricht von Pepito habe. Ich weiß, er wird sich
melden. Aber er wird sich nur bei mir melden, verstehst du, Bobbo? Kein anderer
darf den Hörer abnehmen außer mir.«
Das Telefon fühlte sich angesprochen und gab
Laut. Sie nahm sofort den Hörer ab: »Pepito?« und gab ihn ernüchtert an Bob
weiter. »Für dich.«
Es war Ulla.
Er machte ein paar abgelenkte muntere
Komplimente, versprach, auf ihre Party zu kommen, und hängte nach wenigen
Minuten ein.
Isabella Taschner hatte während des Gespräches
unbeweglich auf ihre krampfhaft um das Taschentuch gepreßten Hände gestarrt.
»Schöne Grüße«, sagte Bob.
Jetzt sah sie auf. »Du willst zu Kirchsteins
heute abend?«
»Ja.«
»Das geht nicht«, erklärte sie strikt. »Bobbo,
du mußt deinen Bruder suchen — und zwar noch heute!«
Er schien sich verhört zu haben. »Suchen? Ich?
Pepe?« und hatte wohl kurzfristig die Landkarte von Mexiko vor Augen samt
unwegsamem Hochland und unwegsamem Urwald. »Wie stellst du dir das bitte vor?«
»Ich gebe dir eine Liste mit den Möglichkeiten,
wohin er geflohen sein könnte.«
»Aber das führt doch zu nichts!«
Ein Argument, das an Frau Taschner wirkungslos
abprallte.
»Schau, Isabella, ich komme aus Europa, um hier
Ferien zu machen, und muß am nächsten Tag für Papa auf Geschäftsreisen gehen.
Ich war in Puebla, in Vera Cruz. Ich komme eben aus Monterrey zurück und soll
schon wieder los? Hat es nicht wenigstens bis morgen Zeit?«
»Morgen kann es schon zu spät sein«, sagte
Isabella kühl.
»Was bitte soll zu spät sein, wenn ich ihn im
Norden suche, und er trampt zur gleichen Zeit durch den Süden?«
»Also gut, gut, gut«, rief Isabella voll
nervöser Einsicht, »dann starte erst morgen. Aber morgen früh bestimmt.« Und
rein zufällig fiel ihr Blick auf Rieke, die sich gegen das Gezwicke des
Griffon-Terriers wehrte.
»Was wird denn nun aus Ihnen?«
»Machen Sie sich um mich keine Sorgen!«
versicherte Rieke.
»Doch, doch, Sie sind unser Gast. Pepe wäre mir
sehr böse, wenn ich mich nicht um Sie kümmern würde. Ich werde für Sie ein
Programm zusammenstellen. Zuerst einmal die Stadt — und dann die nähere
Umgebung...« Sie brach ab und blickte erschrocken auf Bob, der von seinem Stuhl
zu kippen drohte, sich aber noch rechtzeitig vor einer Bodenlandung fing. Rieke
hatte ihn massiv ins Kreuz gebufft.
Er schaute sie fragend an. Ihr Blick war prall
vor Bitten: »Bewahre mich vor Isabellas Programmen. Ich will nicht ihre
Gastfreundschaft strapazieren. Ich will aus diesem Trauerhaus heraus! — Ich
möchte so gerne mitfahren und Pepe suchen. Bitte!«
Bob überlegte einen Augenblick, wie er seiner
Stiefmutter Riekes Wunsch plausibel machen konnte, ohne sie zu verletzen. Er
entschied sich für: »Weißt du, Isabella, ich werde Friederike mitnehmen, denn —
eh — vier Augen sehen immer mehr als zwei. Nicht wahr?« Und an Rieke gewandt: »...natürlich
nur, wenn du Lust hast.«
Sie strahlte so erleichtert wie weiland die
späte Jungfrau über einen nicht mehr erhofften endlichen Heiratsantrag.
Ehe sie am Sonntagfrüh zu ihrer »Such-Rallye«
(Bobs Bezeichnung für dieses Unternehmen) aufbrachen, mußten sie Proviantkörbe
und Kühlboxen verladen, die die Köchin am Abend zuvor für sie bereitgestellt
hatte, denn dort, wo sie Pepe zuerst suchen sollten, gab es keine
Einkaufsmöglichkeiten.
Die Körbe waren in einem eiskalten
Vorratsgewölbe untergebracht, gleich neben den Schüsseln mit dem Hundefutter.
Rieke ging auf die Suche nach einer Plastiktüte.
Isabella war als einzige zu ihrem frühen
Abschied aufgestanden und umarmte >Bobbo< einmal und noch einmal und
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