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Das Kopernikus-Syndrom

Das Kopernikus-Syndrom

Titel: Das Kopernikus-Syndrom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henri Loevenbruck
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hatte meine Zeit nicht verschwendet. Aufgeregt las ich weiter. Das Leben von Gérard Reynald ähnelte in vielen Punkten dem meinen. So viele Zufälle, dass ich sie kaum glauben konnte. Es folgten Einzelheiten seiner Inhaftierung und Informationen über die rechtlichen Bedingungen seines Polizeigewahrsams …
    Als ich alles gelesen hatte, faltete ich die Blätter zusammen und steckte sie in die Tasche. Ich schloss die Augen und versuchte alle in den Notizen enthaltenen Informationen zu analysieren. Drei interessierten mich besonders. Da war zuerst der Versuch, über die Rezepte den Namen des Arztes herauszufinden, der Reynald genau wie mir Neuroleptika und Psychopharmaka verschrieben hatte. Wenn es Doktor Guillaume nicht gab, musste er den Namen eines echten Arztes verwendet haben, damit die Versicherung die Täuschung nicht bemerkte … Das war vielleicht eine echte Spur. Dann die Sache mit der Zahl 88 und ihrer Verbindung, die der Anwalt zum Attentat sah. Am 8. August um 8 Uhr. Der 8.8. um 8 Uhr. Konnte das mit dem Protokoll 88 zu tun haben? Sicher. Aber was? Und schließlich die Wohnung in Nizza. Was mochte Reynald in Nizza zu tun haben? Und vor allem, wenn Blenods Vermutung stimmte, dass die Polizei noch nichts von der Wohnung wusste, gab es vielleicht eine Möglichkeit, dort Informationen aus erster Hand zu bekommen. Die Wohnung in Paris stand unter Beobachtung, dort war es also unmöglich, nachzuforschen. Aber in Nizza …
    Der Bus hielt. Ich stieg aus und sah mich nach einem Taxi um. Es gab keinen Grund, noch länger zu warten.
    Eine halbe Stunde später war ich an der Gare de Lyon und ging zum Schalter. Zur Fahndung ausgesetzt, fühlte ich mich zwar unwohl, gab mich aber möglichst ungezwungen und hoffte, dass mein Gegenüber mich nicht erkennen würde. Ich musste mich zusammenreißen. Nicht alle konnten mein Bild im Fernsehen gesehen haben, und selbst wenn dieser Typ mich gesehen hatte, würde er sich kaum daran erinnern und mich vor allem mit meinem kahlen Schädel nicht wiedererkennen.
    »Guten Abend, wann fährt der nächste Zug nach Nizza?«
    »Morgen früh gibt es eine Direktverbindung um 7.54 Uhr.«
    »Heute Abend fährt kein Zug mehr?«
    »Aber Monsieur! Es ist nach 23 Uhr. Der letzte Zug ging kurz nach 21 Uhr.«
    Ich verzog das Gesicht, aber ich hatte keine Wahl.
    »Dann geben Sie mir eine Fahrkarte für morgen früh.«
    Ich sah den Mann etwas in seinen Computer tippen, als mir klar wurde, welches Risiko ich in einem Zug einging. Würde er mich nach meinem Namen fragen? Ich war nicht sicher, ob auf einer Zugfahrkarte der Name stehen musste … Aber höchstwahrscheinlich hatte die Polizei längst meinen Steckbrief herausgegeben, und ich riskierte, dass mein Bild in allen Bahnhofsschaltern und Flughäfen des Landes hing.
    Meine Finger krallten sich in meinen Rucksack, während der Beamte seine Suche in den Computer eingab. Ich war bereit, beim kleinsten Anzeichen von Gefahr zu fliehen, und beobachtete jede seiner Bewegungen.
    »Nur Hinfahrt?«
    »Ja.«
    »Dann reserviere ich Ihnen um 7.54 Uhr einen Platz im Zug?«
    »Ja.«
    »Wie zahlen Sie, Monsieur?«
    Ich biss mir auf die Unterlippe. Bar natürlich. Ich würde ihm gewiss nicht meinen Namen geben. Aber eine Barzahlung würde womöglich Verdacht erregen. Doch ich hatte keine Wahl.
    »Bar.«
    Ich sah, wie er lächelnd den Kopf schüttelte. Er schaute auf seinen Bildschirm. Die nächsten Sekunden schienen Stunden zu dauern. Dann setzte sich sein Drucker in Bewegung.
    »Das macht 105 Euro und 70 Cent, Monsieur.«
    Ich zahlte mit dem Geld aus dem Umschlag von Agnès.
    Der Beamte gab mir, immer noch lächelnd, meine Fahrkarte. Er hatte mich nicht nach meinem Namen gefragt, und er schien sich keine Gedanken über meine Identität zu machen. Ich atmete erleichtert auf und entfernte mich rasch vom Schalter. Im selben Moment sah ich eine bis an die Zähne bewaffnete Polizeipatrouille langsam in den Bahnhof kommen. Ich machte kehrt und ging schnell hinaus. Die Polizisten marschierten weiter, ohne mich zu beachten.
    Draußen ging ich schnellen Schritts zum Boulevard Diderot, die Hände tief in den Taschen vergraben und den Kopf eingezogen. Ich lief die Straße hinunter und fragte mich, was ich bis zum nächsten Morgen tun sollte. Ich hatte keine Lust, mir wieder ein Hotel zu suchen. Es war spät, und ich hatte zu große Angst, dass man mich erkennen würde. Je weniger Menschen ich begegnete, desto besser. Aber wohin sollte ich gehen? Ich musste acht Stunden

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