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Das Kopernikus-Syndrom

Das Kopernikus-Syndrom

Titel: Das Kopernikus-Syndrom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henri Loevenbruck
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Untergeschosse, stiegen wieder hinauf in den Dschungel aus Trümmern, und er führte mich bis zum äußersten östlichen Ende des Geländes, in die Nähe der Grande Arche. Hier hatte man in aller Eile ein Notlazarett eingerichtet. Männer in gelben Westen schienen das Ganze zu organisieren, Helfer trugen rote Armbinden und das ärztliche Personal weiße Armbinden. Alle rannten in verschiedene Richtungen, und ich fragte mich, wie in diesem riesigen Chaos geordnetes Handeln möglich war.
    Rechts entdeckte ich vier weiße Zelte unter der Grande Arche. Das am weitesten entfernte trug die Aufschrift: ›Auskunft vermisste Personen‹. Das war vermutlich die Stelle, an der die Familien sich nach ihren Angehörigen erkundigten oder die Namen der Getöteten meldeten, wie ich es in einem Fernsehbericht gesehen hatte.
    »Bleiben Sie hier, Monsieur, ich hole jemanden vom Notfallteam, der sich um Sie kümmern wird.«
    Ich nickte, aber als er sich entfernte, ging ich sofort auf die andere Seite, zur Auskunft. An der Seite des Zeltes fand ich die Namenslisten, die an große Holztafeln gepinnt waren.
    Das Gelände um die Grande Arche bot einen düsteren, beunruhigenden Anblick. Man sah Männer in Uniformen, die in alle Richtungen liefen, Krankenpfleger, Ärzte, Helfer, die immer neue Verwundete versorgten, und andere, die sich um die Evakuierung kümmerten.
    Immer noch wurden Menschen aus den Trümmern geborgen, unter denen sie vierundzwanzig Stunden begraben gewesen waren. Keiner der Beschäftigten in dem Turm hatte überlebt, aber in den angrenzenden Gebäuden gab es noch viele Menschen zu retten, die dem Attentat entkommen waren. Etwas weiter entfernt standen Journalisten, Fernsehteams und äußerst aufgeregte Menschen. Ein verstörter Feuerwehrmann saß auf dem Boden, das Gesicht mit Ruß bedeckt. Er atmete schwer und spuckte schwarzen Schleim. Seine Augen waren rot unterlaufen. Ein Paar hielt sich in den Armen und weinte. Etwas weiter weg unterhielten sich Männer in Gelb, notierten etwas in große Hefte und gaben telefonische Anordnungen. Weiter unten war die Esplanade von La Défense nur noch ein großes Trümmerfeld. Rechts erkannte man schemenhaft die Fassade des Einkaufszentrums, in dicken Staub gehüllt. Die kleineren Gebäude, die Cafés, die mobilen Läden lagen unter dem Turm begraben. Hie und da stiegen graue Rauchsäulen in den Augusthimmel auf. In der Ferne, näher an dem, was einst der SEAM-Turm gewesen war, vernahm man den dumpfen Lärm der Maschinen, die versuchten, die Trümmer abzutragen.
    Langsam und zitternd näherte ich mich den Holztafeln. Anfangs warf ich einfach einen Blick darauf, um zu sehen, ob ich den Namen von Doktor Guillaume entdecken konnte. Schnell begriff ich, dass die Listen der Opfer nach den Namen der Gesellschaften eingeteilt worden waren. Ganz gezielt suchte ich den Namen der Arztpraxis. Mater, unter M. Ich las die Spalte mehrere Male, fand ihn aber nicht.
    Ich trat einen Schritt zurück. Vielleicht gab es eine andere Tafel, etwas weiter weg. Ich ging um das Zelt herum, aber ich fand nichts. Ich spürte, wie mein Herz schneller schlug. Und verwirrte Stimmen kämpften in meinem Kopf. Ich musste konzentriert bleiben. Doktor Guillaume. Wo war Doktor Guillaume?
    Ich wartete einen Augenblick, holte Luft. Dann ging ich auf den Feuerwehrmann zu, der immer noch auf dem Boden saß, mit der Gasmaske um den Hals.
    »Guten Tag … Hat es wirklich keine Überlebenden im Turm gegeben?«
    Der junge Mann hob seine blutunterlaufenen Augen zu mir hoch. Müde schüttelte er den Kopf.
    »Aber … ich … ich finde den Namen meines Arztes nicht auf den Listen. Er war jedoch im Turm, in seiner Arztpraxis … Und …«
    Der Feuerwehrmann seufzte und räusperte sich.
    »Fragen Sie doch bei der Information nach«, sagte er und deutete auf das letzte Zelt.
    Ich dankte ihm und setzte mich in Bewegung.
    Vor dem Eingang waren zig Personen versammelt, drängten sich dicht aneinander. Alle redeten gleichzeitig. Die meisten weinten. Einige zogen sich wieder zurück, niedergeschlagen, gestützt von Helfern.
    Ich fuhr mir über die Stirn. Es war dermaßen heiß. Und die Luft war so drückend. Schweißtropfen fielen auf meine Lider, brannten mir in den Augen. Meine Hände zitterten immer heftiger. Ich fühlte mich schlecht. Ich ertappte mich dabei, wie ich mich mehrere Male im Kreis drehte. Völlig in Panik.
    Los, weiter, Vigo. Bleib ruhig.
    Ich hustete. Dann schüttelte ich den Kopf. Ruhig. Ich ging weiter. Die Menge

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