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Das Kopernikus-Syndrom

Das Kopernikus-Syndrom

Titel: Das Kopernikus-Syndrom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henri Loevenbruck
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unserer Entwicklung bei. Ich möchte glauben, dass wir es selbst tun. Dass unsere Hirne es tun. Eines Tages. Die Wissenschaftler sind vielleicht deshalb nicht in der Lage, uns zu sagen, wozu diese winzigen Magnetitkristalle in unserem Gehirn nützlich sind, weil sie uns noch nicht gedient haben. Vielleicht warten die geheimnisvollen Partikel noch auf ihre Stunde, auf den richtigen Augenblick. Und es wird der Tag kommen, an dem wir selbst diese Mutation vornehmen. Diese neue Entwicklung, die wir zweifellos benötigen, um zu vermeiden, dass der Homo sapiens eines Tages ausstirbt, weil er es nicht verstanden hat, sich vor sich selbst zu schützen. Und wir werden dann vielleicht tatsächlich diese Wesen, die fähig sind, Mitleid zu empfinden. Unfähig zu töten.
    Du wirst ich, und ich werde du.
    Du siehst, alles schreitet voran. Alles.
    Das ist vielleicht unser Überlebensinstinkt. Im Grunde genommen hattest du recht.
    Ich glaube, ich habe mich verändert. Ich habe etwas Neues gefunden. Ich hätte es dir gern gesagt. Wenn nur …
    Agnès, zum ersten Mal in meinem Leben, kurz vor der ewigen Nacht, allein mit mir, habe ich einen Moment lang den süßen Duft der Hoffnung geatmet.
    Ja. Ich will glauben, dass sich der Homo sapiens ändern kann. Von einer Generation zur nächsten. Besser werden kann.
    Und dann … Das wollte ich dir sagen, Agnès. Farkas. Es ist ein ungarischer Name. Ich habe ihn etymologisch erforscht. Es ist ein alter ungarischer Name. Ja, und er bedeutet ›der Wolf‹.
88.
    Ich bin nicht tot. Ich bin gestern Abend in einem Krankenhausbett aufgewacht. Nur wenige Minuten. Dann kam der Schmerz. Und dann sank ich wieder ins Koma, was sehr beruhigend war.
    Als ich heute Morgen die Augen aufschlug, hatte ich das Gefühl, ich hätte einen Berg bestiegen. Etwas in mir hat sich dagegen gewehrt, zu leben. Es ist so anstrengend.
    Trotz der Halskrause, die mir auf den Hals drückt, habe ich versucht, den Kopf zu drehen, und ich habe mich im Spiegel gesehen. Verdammte Spiegel. Ich bin verschwommen zu erkennen, habe Augenringe. Und mein Gesicht ist fahl. Alles ist leblos, außer meinen Pupillen, die noch ein wenig glänzen. Eigensinnig.
    Ich glaube schon, dass ich hätte aufgeben können. Ich hätte loslassen und mich in den sanften Abgrund meines Erlöschens fallen lassen können. Ohne Bedauern, gefasst. Aber da ist dieses ferne Licht, das ich erwarte. Wie eine Glühbirne ohne Lampenschirm, die an einem Faden baumelt, in der Dunkelheit eines Gefängnisses.
    Ich tu es wie sie, ich klammere mich an den Faden.
    Die Krankenschwestern gehen hin und her. Ich höre ihre Stimmen seit Tagen, Wochen? Ihre verworrenen Stimmen. Und manchmal auch ihre Gedanken. Oft.
    Da ist Justine, die sich zu freuen scheint, dass ich endlich wieder ins Leben zurückgekehrt bin. Sie lächelt und spricht mit mir. Ihre Lippen bewegen sich, aber ich bin sicher, dass die Sätze, die sie sagt, nie bei mir ankommen werden.
    Doch dann kam gegen Mittag meine Erinnerung. Verkehrt herum. Das Puzzle hat sich von hinten zusammengefügt, wie im Zeitraffer. Zuerst die Schüsse. Der Schusswechsel. Das Gitter, das sich wieder schließt, der Wagen, der vor der Freitreppe hält. Die Begegnung mit Farkas. Liéna Rey. Die Ställe. Die unterirdischen Räume von La Défense. SpHiNx. Und dann dieser Name, der nicht meiner ist. Das Attentat. Es war genau 7.58 Uhr, als ein Zug der RER in das fahle Licht der großen Station unter dem Vorplatz von La Défense einfuhr. Es war der 8. August.
    »Wo bin ich?«
    Bei diesen ersten Worten verspüre ich einen höllischen Schmerz in der Kehle.
    Ich schmecke Blut.
    Justine zieht die Stirn kraus.
    »Monsieur, Sie sind in einer Klinik.«
    Ich atme schwer.
    »Ein Militärkrankenhaus?«
    Sie schaut verblüfft, dann lächelt sie.
    »Nein, eine ganz normale Klinik.«
    Farkas' Gesicht verschwindet langsam.
    »Aber … Was ist passiert? Wie …«
    »Schsch.«
    Sie legt mir einen Finger auf die Lippen.
    »Erholen Sie sich, Sie können sich all diese Fragen später stellen. Sie sind im Augenblick hier bei uns.«
    Ich würde ihr gern sagen, dass ich keine Lust habe, mir Zeit zu lassen. Dass ich alles wissen will. Doch dazu fehlt mir die Kraft. Ich habe keine Lust mehr zu kämpfen. Nicht einmal mehr für die Wahrheit.
    Vielleicht für etwas anderes. Für die kleine Glühbirne, die hin und her pendelt. Den glühenden Faden, der knistert.
    Die Zeit vergeht. Ich betrachte mein Klinikzimmer. Die Metallstangen am Bett. Die weißen Fliesen an den

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