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Das Kopernikus-Syndrom

Das Kopernikus-Syndrom

Titel: Das Kopernikus-Syndrom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henri Loevenbruck
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Trottoir, auf einem kleinen Übergang, ein seltsames Steingebäude, einen Rundbau mit einer Kuppel und einer Art Laterne.
    Ich blickte kurz nach hinten. Die beiden Männer waren nicht zu sehen. Ich befand mich außerhalb ihres Sichtfeldes. Vielleicht sollte ich in einem Gebäude Zuflucht suchen. Vielleicht konnte ich ihnen dadurch entkommen. Oder ich brachte mich selbst in eine Sackgasse. Ich beschloss, es zu wagen, und steuerte auf die Tür des merkwürdigen kleinen Gebäudes zu.
    Natürlich war sie verschlossen. Es war eine alte verrostete Tür, halb eingedrückt, gelblich. Darauf standen fast unleserlich die Worte: ›Steinbruch. Nicht öffnen, gefährlich‹. Es gab keinen Türgriff, lediglich ein kleines Schloss. Ich stieß heftig gegen die Tür. Aber sie ging nicht auf. Die Zeit drängte. Wenn ich mich nicht beeilte, würden die beiden Männer am Ende der Straße auftauchen und sehen, wo ich mich versteckte. Ich versetzte der Tür einen kräftigen Fußtritt. Nichts. Doch ich ließ mich nicht entmutigen: Die Angeln waren dermaßen verrostet, dass es möglich sein musste, die Tür aufzubrechen. Ich atmete tief ein und versetzte ihr noch einen Fußtritt, noch kräftiger, dann einen dritten. Endlich gab die alte Tür nach. Ich stürzte hinein und zog die Tür hinter mir zu.
    Drinnen herrschte völlige Finsternis. Ich ließ mir Zeit, wieder Atem zu schöpfen. Dann hörte ich die Schritte der beiden Männer, die auf das Haus zurannten. Ich biss die Zähne zusammen und rührte mich nicht. Das Echo ihrer Schritte hallte auf der Straße wider, immer näher. Ich schluckte schwer. Sie waren nur noch wenige Meter entfernt. Nur keinen Lärm machen. Und hoffen. In was für eine blöde Situation hatte ich mich gebracht? Ich saß fest. Obwohl ich es fast nicht glauben konnte, stellte ich fest, dass sie nicht gesehen hatten, wohin ich verschwunden war. Ihre Schritte entfernten sich ans andere Ende der Straße. Ich stieß einen Seufzer der Erleichterung aus. Ich konnte aufatmen, zumindest im Augenblick.
    Langsam holte ich mein Feuerzeug heraus und zündete es an. Nach und nach wurde es hell um mich, und da entdeckte ich, was dieses ungewöhnliche Gebäude barg: eine Wendeltreppe mitten in der Stadt.
15.
    Moleskin-Notizbuch,
Anmerkung Nr. 107: Solipsismus
    Der Traum ist der Beweis dafür, wenn es denn eines Beweises bedurft hätte, dass unser Gehirn sich Empfindungen ausdenken kann, die einen gewissen Realitätssinn verraten. Es gibt Alpträume, die ganz phantastisch wahrheitsgetreu erscheinen. Alles in allem ist unser Gehirn manchmal ein besonders heimtückischer Lebenssimulator.
    Häufig entdecke ich an mir diese seltsame Gewissheit, dass mein Ich, mein Bewusstsein, die einzige existierende Realität darstellt. Das ist nicht Egozentrik, sondern die Angst, die anderen und die Außenwelt könnten nur falsche Darstellungen, Erzeugnisse meines Bewusstseins sein.
    Im Grunde kann ich nur meinen eigenen Geist und das, was er beinhaltet, wirklich kennen; ich weiß, dass es ihn gibt.
    Das Ganze hat einen Namen. Um mich zu beruhigen, habe ich im Wörterbuch nachgeschlagen. Um zu sehen, ob ich der Einzige bin, der glaubt, der Einzige zu sein. In Wirklichkeit sind wir mehrere. Im Petit Robert steht:
    Solipsismus: (1878, leitet sich vom Adj. Solipse , aus dem Lat. solus , ›allein‹, und ipse , ›selbst‹, ab, Suffix – ismus . Philo .) Eine Theorie, derzufolge es für das denkende Subjekt keine andere Realität gibt als es selbst.
    Im Philosophielexikon von Armand Colin steht:
    Solipsismus: Lehre, die nie ernsthaft untermauert wurde, nach der das denkende Subjekt für sich allein existiert. Pejorativer Begriff, der manchmal gebraucht wird, um eine extreme Form des Idealismus zu bezeichnen. Wittgenstein hat in seinem Tractatus logicophilosophicus das Paradox des Solipsismus unterstrichen, der, wenn er rigoros praktiziert wird, mit dem reinen Realismus übereinstimme.
    Ich muss Wittgenstein lesen. Ich weiß nicht, ob ich ihn verstehen werde. Ich habe schon Probleme mit dem Titel.
16.
    Die Luft war heiß. Heiß und feucht. Ich ging vorsichtig die alten Metallstufen hinunter und machte mir Licht mit meinem Feuerzeug. Als ich vorüberging, blitzten die Mauern aus weißem Stein auf. Sie waren voller Graffiti, unterbrochen durch Risse und verrostetes Eisen. Die Treppe führte direkt in die düstere Unterweit von Paris, die sich in der Ferne in der Dunkelheit verlor. Das Schild an der Tür fiel mir wieder ein. Ich hatte den alten Steinbruch

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