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Das Kopernikus-Syndrom

Das Kopernikus-Syndrom

Titel: Das Kopernikus-Syndrom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henri Loevenbruck
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gesagt: Ich bin mir nicht einmal mehr sicher, ob Doktor Guillaume tatsächlich gelebt hat.«
    »Können Sie es nicht selber feststellen? Das würde Ihnen vielleicht helfen. Natürlich nicht ganz allein, aber mit der Hilfe eines anderen.«
    »Mit Ihrer?«
    »Nein. Könnten Sie es nicht mit Ihrem Chef herausfinden, oder noch besser, mit Ihren Eltern? Haben Sie seit dem Attentat etwas von ihnen gehört?«
    »Nein. Ich weiß nicht einmal, ob sie schon wieder zu Hause sind, in der Rue Miromesnil. Ich habe Angst, dorthin zurückzukehren. Als ich zum letzten Mal dort war, gab es … Nun, ich glaubte, dass eine Kamera installiert war. Vermutlich habe ich es mir eingebildet. In meiner Paranoia …«
    »Eine Kamera?«
    »Ja.«
    Sie schrieb es auf.
    »Ihre Eltern sind im Augenblick sicherlich sehr beunruhigt. Sie sollten versuchen, sie zu erreichen, und sie bitten, dass sie Ihnen dabei helfen, klarer zu sehen. Das Falsche vom Richtigen zu unterscheiden …«
    »Und wenn ich alles erfunden habe, wie zum Beispiel die Kamera? Wenn es meine Eltern gar nicht gibt?«
    »Sie werden es erfahren, wenn Sie versuchen, sie wiederzusehen, Monsieur Ravel. Das finde ich wichtig. Die Einsamkeit, in der Sie sich verkrochen haben, scheint mir gefährlich. Sie müssen wieder Kontakt zur Wirklichkeit aufnehmen. Auch wenn Sie dabei heikle Phasen durchmachen müssen. Es wäre gut, wenn jemand Sie begleitet.«
    Als ich ihr zuhörte, dachte ich über meine Eltern nach. Die Vorstellung, dass auch sie eine Ausgeburt meiner Phantasie sein könnten, erschien mir greifbar.
    Und erschreckend. Die Wohnung in der Rue Miromesnil war vielleicht auch nicht real. Vielleicht wohnte ich schon immer in diesem Hotel …
    »Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass ich Doktor Guillaume erfunden habe?«, fragte ich und stützte mein Kinn auf meine Fäuste.
    »Wenn die Leute in La Défense Ihnen gesagt haben, dass die Arztpraxis gar nicht existierte, dann besteht tatsächlich eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass Sie ihn erfunden haben.«
    »Genauso wie ich die Stimmen in meinem Kopf erfinde? Diese Stimmen sind nicht real, nicht wahr?«
    »Sie sind für Sie real. Sie hören sie deutlich. Aber Sie müssen begreifen, dass es nicht die Gedanken der Menschen sein können. Es sind Ihre eigenen Gedanken. Ihr Gehirn verwechselt Ihr Ich mit der Außenwelt, genau wie Ihr psychisches Leben, die Dinge in Ihrer Phantasie, mit den realen Ereignissen um Sie herum.«
    Ich stieß einen Seufzer aus. Ja. Sicher. Natürlich. Wie konnte es auch anders sein? Doch alles war mir so real erschienen.
    »Und diese Schnitte an den Fingern?«, sagte ich und hob die Hände. »Stammen sie nicht vom Attentat?«
    »Allen Nachrichten zufolge hat niemand überlebt, der im SEAM-Turm war. Nicht einer. Und wenn man die Bilder sieht, kann man sich auch nichts anderes vorstellen.«
    »Dann war ich also nicht im Turm?«
    »Vermutlich nicht.«
    »Und weshalb erinnere ich mich daran?«
    »Vielleicht waren Sie in der Nähe, was Ihre Verletzungen erklären könnte. Oder vielleicht haben Sie die Bilder im Fernsehen gesehen, sie haben Sie beeindruckt und in Ihnen eine ganz klassische Paranoia ausgelöst.«
    »Klassisch?«, fragte ich etwas gekränkt.
    »Im Rahmen der Probleme, an denen Sie leiden, ja. Sie haben einem realen Ereignis, das nichts mit Ihnen zu tun hatte, eine persönliche und seltsame Bedeutung beigemessen. Die Anfälle paranoider Schizophrenie erwecken häufig den Eindruck, dass das Subjekt im Mittelpunkt der Welt steht, mit Ereignissen konfrontiert ist, die ihm nicht mehr zufallsbedingt erscheinen, sondern für ihn einer ganz präzisen Logik folgen … Wie ich es Ihnen vorhin vorgelesen habe.«
    »Insgesamt sind die Dinge, die ich mir vorgestellt habe, für einen Schizophrenen nicht überraschend?«
    »Ja, das ist ein ziemlich häufiges Problem. Sie haben sich in den Mittelpunkt dieses ungewöhnlichen Ereignisses gestellt, als ob Sie die Hauptperson wären. Als ob Sie sogar im Mittelpunkt des Weltinteresses stehen würden. Und wenn diese Art von Problemen noch durch das Gefühl verstärkt wird, dass niemand Ihnen glaubt, wie Sie es neulich erwähnten – wenn das so ist, spricht man manchmal vom Kopernikus-Syndrom.«
    »Kopernikus-Syndrom?«
    »Ja, das ist ein wiederholt auftretendes Syndrom bei vielen Patienten mit Paranoia oder paranoider Schizophrenie: die Gewissheit, eine grundlegende Wahrheit zu besitzen, die Sie über die gewöhnlichen Sterblichen erhebt, aber an die zu glauben die gesamte

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