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Das Kopernikus-Syndrom

Das Kopernikus-Syndrom

Titel: Das Kopernikus-Syndrom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henri Loevenbruck
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Personen in meinem Umfeld gewesen, der in mir nie den Schizophrenen sah. Zumindest hatte ich immer diesen Eindruck. Aber nun erkannte ich plötzlich in seinem Blick die Reserviertheit, diese tiefe Verachtung, die solch ehrenwerte Leute den Geschöpfen meiner Art entgegenbringen. Er wirkte wie ein Fremder.
    »Guten Abend, Monsieur de Telême. Pardon … Ich … ich bin völlig hypnotisiert. Wissen Sie, diese Musik … Die Musik …«
    »Ja?«
    »Ich glaube, sie ist viel wirkungsvoller als die Sprache.«
    »Was meinen Sie?«
    Ich zuckte die Schultern. Es gibt Gefühle, die mit Worten schlecht auszudrücken sind.
    »Der Blues ist wie eine Kommunion, finden Sie nicht auch?«
    »Genug, Vigo, haben Sie mich herkommen lassen, um mir solchen Unsinn zu erzählen?«
    Ich grinste. Es wurde Zeit, auf die Erde zurückzukehren. François de Telême war nicht in der Stimmung zu philosophieren. Er hatte auch die Musiker keines Blickes gewürdigt. Er hatte beide Hände auf den Tisch gelegt. Er wirkt gestresst und wollte das Gespräch mit mir offensichtlich schnell hinter sich bringen.
    »Nein, nein, es tut mir leid«, sagte ich und richtete mich auf meinem Stuhl auf. »Nein. Sie haben recht. Ich … ich habe Probleme …«
    In diesem Moment kam der Clubbesitzer, ein gewisser Gérard, auf uns zu und drückte uns die Hand. Er war es gewohnt, uns hier zu sehen, und wir hatten uns mehrere Male mit ihm unterhalten. Er war ein bisschen verdreht und besaß das Ungestüm und die Ungeduld der Menschen, die ihre Sätze nie vollenden und sofort verschwinden, wenn man ihnen den Rücken zukehrt. Er sah immer gleich aus: Er trug eine Lesebrille, eine alte abgetragene Jeans, eine blaue Jacke und flache weiße Turnschuhe. Seine Bar führte er voller Elan und kämpfte auf Gedeih und Verderb darum, dem reinen afroamerikanischen Blues die ihm gebührende Ehre zuteilwerden zu lassen. Er machte seine Musikprogramme, wie andere Leute Politik betreiben: mit Flugblättern, mit Herzblut und Mundpropaganda. Ich mochte ihn, instinktiv.
    »Ihr werdet noch sehen, es ist eigentlich ein wunderbares Stück. Heute Abend ist er nur ziemlich blockiert«, sagte er, bevor er wieder hinter die Theke trat.
    De Telême blickte ihm hinterher, dann wandte er sich erneut an mich.
    »Gut, Vigo, erzählen Sie mir, was ist Ihnen passiert?«
    Ich zögerte. Ich hatte keine Lust, ihm meine ganze Geschichte zu erzählen. Ich brauchte lediglich Bestätigung.
    »Wie lange arbeite ich schon in Ihrer Firma, Monsieur de Telême?«
    Er runzelte die Stirn.
    »Sie haben die Nase voll, nicht wahr?«
    »Nein, überhaupt nicht. Ich möchte lediglich wissen, wie lange ich schon bei Feuerberg arbeite.«
    »Nun … Das wissen Sie genauso gut wie ich, seit fast zehn Jahren.«
    »Zehn Jahre? Tatsächlich? Und ich bin in dieser Zeit jeden Tag zur Arbeit gekommen?«
    Mein Chef nickte.
    »Vigo, was sollen diese skurrilen Fragen?«
    »Ich … ich bin mir meiner Erinnerungen nicht mehr sicher. Arbeite ich tatsächlich seit zehn Jahren in Ihrer Firma?«
    »Aber ja, selbstverständlich.«
    Ich schüttelte den Kopf. Er wirkte aufrichtig. Gut. Das war immerhin etwas Konkretes. Feuerberg. Meine Arbeit. Etwas Greifbares. Die Wirklichkeit. Gut.
    »Und kennen Sie meine Eltern?«, fragte ich ihn schüchtern.
    Er räusperte sich, er wirkte immer nervöser.
    »Nein, ich habe sie nie gesehen. Aber Sie haben mir oft von ihnen erzählt.«
    »Sagen Sie ehrlich, sind Sie sicher, dass es meine Eltern gibt?«
    Der Mann war einen Moment lang sprachlos und starrte mich an. Etwas in seiner Haltung gefiel mir nicht. Ein Plan, vielleicht eine List.
    »Hören Sie, Vigo, Sie haben einen ziemlich schlimmen Schock erlitten. Ich glaube, Sie brauchen Hilfe.«
    Ich schob meinen Stuhl zurück. Sie brauchen Hilfe. Das waren nicht die Worte, die ich von ihm hören wollte.
    »Wieso sagen Sie das?«, fragte ich trocken.
    »Nun, Sie waren doch bei dem Attentat dabei, nicht wahr?«
    »Wer hat Ihnen das gesagt?«
    »Niemand. Ich weiß nur, dass Sie jeden Montagmorgen nach La Défense fahren, und seit besagtem Montag sind Sie verschollen. Daraus schließe ich, dass Sie dort waren, nicht wahr?«
    Ich stieß einen Seufzer aus. Ich hatte ihn gebeten, herzukommen. Wenn jemand Fragen stellte, dann ich!
    »Monsieur de Telême, sagen Sie mir einmal, was ich jeden Montag in La Défense mache.«
    »Sie suchen Ihren Psychiater auf.«
    »Warum?«
    »Was heißt das, warum?«
    »Warum suche ich einen Psychiater auf?«
    »Nun, weil … Sie wissen

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