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Das Kreuz am Acker

Das Kreuz am Acker

Titel: Das Kreuz am Acker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Friedl
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zusammenschrak. Neben dem Weg kauerte, wie ein verrissenes Kleiderbündel, aus dem nur ein grauzotteliger Kopf ragte, die Arme auf zwei Stöcke gestützt, der Hetscher.
    »Bist denn du schon wieder gesund?« fragte er überrascht, doch ohne zu antworten, rutschte der Alte weg und verschwand im Walde.
    Der Schwaiger war stehengeblieben und sah noch immer nach der Stelle, an der der Hetscher hinter dem Bodengesträuch des Waldes verschwunden war, als der Ingenieur Wallenbeck ihn anrief und begrüßte. »Sagen Sie einmal, Herr Bürgermeister, wer ist eigentlich dieser krüppelhafte Mann, der soeben noch da war? Seit zwei Tagen sitzt er an der Baustelle, solange sich hier etwas rührt. Ich habe ihn schon angesprochen, aber er gibt keine Antwort.«
    Der Schwaiger erzählte die Geschichte des Besenbinders und schilderte das Leben dieses Dorfarmen, dem nicht der volle Verstand gegeben war. Er tat es in kurzen und unfreundlich klingenden Worten und verabschiedete sich schnell und knapp von Wallenbeck, als sie die Lichtung der Schneise erreicht hatten, die von den Holzarbeitern freigelegt wurde und durch die man bis hinauf zu den Hochfeldern sah.
    Er stieg den ansteigenden Weg hinauf. Arbeiter gruben die Baumstümpfe und Wurzelstöcke aus der Walderde. Hinter ihm knarrten und kreischten die Bagger, die mit klaffenden Eisenmäulern das Erdreich aus dem Waldboden rissen. Motoren brummten, und Pickel klangen auf dem Felsgestein.
    Er atmete auf, als er die Lichtung erreichte und das Lärmen hinter ihm blieb. In den Haselnußstauden am Rain zwischen den zwei Äckern sangen noch die Waldvögel. Bald würden auch sie vertrieben werden von den Menschen und ihren Maschinen, die hier eine Straße durch den Hang schnitten.
    Der goldene Herrgott auf dem schwarzen Eisenkreuz leuchtete ihm entgegen. Um den Stein im Acker blühten blaue Glockenblumen und die ersten Margeriten. Der Bauer nahm den Hut vom Kopf und stand eine Weile vor dem Kreuz. Eine kalte Angst drückte ihn, und die Taghelle rückte weit von ihm ab. Fahl und frostig war der Sonnentag, und der Herrgott vor ihm schien die Arme drohend zu heben. »Ich mach alles wieder gut – will ja alles wieder gutmachen – mußt mir nur helfen dabei – «, flüsterte der Schwaiger.
    Im Walde drunten brummten die Motoren der Bagger und die Kompressoren der Gesteinsbohrer.
    Er empfand es wie ein aufziehendes Gewitter und fürchtete sich davor.
    Und wo nur die Bärbel hin sein mochte? Er hatte an dem Mädel immer einen Halt gesucht, das spürte er jetzt erst, und nun fühlte er, daß ihm dieser Halt fehlte. Das Heimgehen freute ihn nicht mehr. Man müßte etwas anfangen, daß man alles Ungute vergessen konnte.
    Trinken!
    Trinken und von ganz anderen Dingen reden, von alltäglichen Sachen, damit man nicht in die eigene Tiefe hinabschauen mußte.
    Er setzte den Hut wieder auf und ging den Weg zurück, dem Dorfe zu.
     
    Droben im Wald hockte hinter einer Wacholderstauden der Hetscher und sah mit brennenden Augen dem Bauern nach. Den wirrhaarigen Kopf hatte er in die Hände gestützt. »Wenn ich nur grad wüßt, was alles gewesen ist! Mit mir ist etwas geschehen, und ich weiß es net! Hab ich einen oder zwei Winter verschlafen und die Sommer dazu? Warum weiß ich die jungen Tage noch so gut, den Vater und die Mutter, und dann weiß ich nichts mehr? Not weiß ich, viele Winter und Sommer und – «
    Er fuhr sich mit den von der Arbeit des Besenbindens verklumpten Händen in das graue Haar.
    Dann begann wieder an einem Punkt seine Erinnerung. Ein kalter Herbsttag war es gewesen, und er hatte Besenriesig holen wollen vom Birkenbühel unterm Nothackerwald. Hier am gleichen Fleck hatte er im Walde gesessen und auf die Felder hinuntergesehen, zum Stein im Acker. Wie aber hatte der Gendarm erfahren, daß er zu dieser Stunde da heroben war, zu dieser schrecklichen Stunde?
     
    Im Landkreis Regen liegt, zwei gute Gehstunden vom Kreisstädtchen entfernt, das Pfarrdorf Kirchberg. Die schwingenden Waldrücken umgeben dieses Walddorf wie die Wellen eines erstarrten Meeres. An der Berglehne hinauf liegen die Häuser und Höfe, und auf der Höhe grüßt über den Wald und die Täler hin die Dorfkirche.
    Und während der Schwaiger daheim dem Dorfkirchlein zuwanderte, stieg die Barbara die Dorfstraße von Kirchberg hinauf und trat in den stillen Raum der alten Kirche. Müde nahm sie in einem der Betstühle Platz und stellte das Köfferchen neben sich auf die Bank. Der Hunger quälte sie.
    Später wollte sie in

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