Das kritische Finanzlexikon
wir diese denn unbedingt haben wollen. Auch hier kommt wieder, man kann es nicht oft genug betonen, der Vertrauensaspekt ins Spiel. Ein Buchgeldsystem ohne dieses Vertrauen funktioniert letztendlich nicht.
Buchgeld entsteht durch Kreditvergabe. Wenn beispielsweise die X-Bank ihrem Kunden Meier einen Kredit von 50.000 Euro gewährt und diesen als Guthaben auf einem Darlehenskonto zur Verfügung stellt, generiert sie ein Buchgeldwachstum. Wurde Buchgeld erst einmal geschaffen, zirkuliert es fortwährend. Angenommen, Herr Meier benötigt den Kredit für einen Autokauf. Das Geld wandert dann auf das Konto des Autohauses seines Vertrauens. Dessen Hausbank wiederum freut sich über den Zahlungseingang. Steht das Geld ihr länger zur Verfügung, kann sie damit »arbeiten« und es in Wertpapieren anlegen oder auch einen weiteren Kredit vergeben. Weitere Kreditvergaben oder auch die Verrechnung der Zahlungsgegenwerte aus den Wertpapierkäufen führen dazu, dass irgendwann auch wieder frisches Geld per Überweisung im Hause der Bank X eingeht. So gesehen ist Buchgeld also der Treibstoff, den Banken für ihre Geschäftstätigkeit benötigen.
Das Geldschöpfungspotenzial des Bankensystems über ihre Kreditvergabe ist außerordentlich groß. Gehemmt wird es durch die Mindestreserve. Die → Europäische Zentralbank verlangt von allen Kreditinstituten im Eurowährungsraum, dass ein bestimmter Prozentsatz der Kundeneinlagen auf einem Zentralbankkonto zu hinterlegen ist. Dieser Teil steht also nicht für eine weitere Kreditvergabe zur Verfügung. Auskunft über die Höhe des Geldvermehrungspotenzials unseres Bankensystems gibt der sogenannte Geldschöpfungsmultiplikator. Der wird dadurch ermittelt, dass man die Zahl 100 durch den Mindestreservesatz teilt. Bei einem Mindestreservesatz von 1 Prozent beträgt der Geldschöpfungsmultiplikator 100, steigt der Mindestreservesatz auf 2 Prozent, ergibt sich ein Multiplikator von 50 und so weiter. Die Geldschöpfungshebel nehmen also mit steigenden Mindestreservesätzen rasant ab. Bei 10 Prozent Mindestreserve fällt der Faktor mit einem Wert von 10 relativ bescheiden aus. Das Bankensystem kann hier die Geldmenge also maximal »nur« um das Zehnfache vermehren.
Wie gut für das Bankensystem, dass der Mindestreservesatz zurzeit nur 1 Prozent beträgt. Aktuell kann die Geldmenge also theoretisch um das Hundertfache erhöht werden. Dies ist, auch wenn man berücksichtigt, dass es sich hierbei um einen rechnerischen Maximalwert handelt, der in der Praxis niemals ganz erreicht wird, ein immenses Steigerungspotenzial. Daher geht einer der unzähligen Vorschläge zur Eindämmung der Probleme des Finanzsektors auch dahin, den Mindestreservesatz kräftig anzuheben. Im Extremfall, bei einem Mindestreservesatz von 100 Prozent, unterbindet man das Buchgeldschöpfungspotenzial der Banken vollkommen (vgl. auch → Vollgeld ). Der Geldschöpfungsmultiplikator ist dann 1; da gibt es nichts mehr zu vermehren. Die Bank würde nur noch mit dem Geld arbeiten, das ihr wirklich zur Verfügung steht – so wie jedes andere Unternehmen es auch muss.
Das wäre den Banken überhaupt nicht recht. In deren Augen wäre das eine Geldvernichtung.
Geldvernichtung
Solche Schlagzeilen kennen wir zur Genüge: »Eine gigantische Geldvernichtung!« »Billionenwerte in Luft aufgelöst!« »Milliardensummen verbrannt!« So tönt es in den Medien landauf, landab, wenn die Kurse an den Finanzmärkten wieder einmal in den Keller rutschen. Was ist eigentlich dran an der Geldvernichtung?
Verfolgen wir einmal die Kursentwicklung einer Aktie, die zunächst aufgrund euphorischer Empfehlungen von →Finanzanalysten in die Höhe schießt und dann, durch unternehmerisches Missmanagement oder sogar durch betrügerische Handlungen der Geschäftsführung, so richtig abstürzt. Die Aktie wird zunächst für 10 Euro gehandelt, dann für 100 Euro und schließlich für 1 000 Euro. Kurze Zeit später wird das Unternehmen zwangsweise liquidiert, es gibt nichts mehr zu holen, die Aktie sinkt auf den Wert von null. Was für eine Geldvernichtung!
Wirklich? Schauen wir genauer hin. Angenommen, die Personen A, B, C und D sind in den Vorgang involviert. A hat, so unterstellen wir einmal, die Aktie bei Gründung des Unternehmens erhalten, ohne einen Gegenwert zahlen zu müssen, B hat sie von A für 10 Euro, C von B für 100 Euro und D von C für 1 000 Euro erworben. Damit ergeben sich folgende Zahlungsströme:
A hat folglich 10 Euro verdient, B
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