Das kritische Finanzlexikon
90 Euro (100 – 10) und C 900 Euro (1 000 – 100). Insgesamt hat die Aktie diese Leute um 1 000 Euro reicher gemacht. Das entspricht exakt dem Verlust von D, der letzten Person in unserer trefflichen Wertschöpfungs-Wertvernichtungskette. Dieser ist nämlich der Gelackmeierte, weil er 1 000 Euro für etwas bezahlt hat, das anschließend einen Wert von null aufwies.
Die Lüge von der Geldvernichtung besteht also darin, dass man mit diesem Begriff suggeriert, Kurs- oder Preiseinbrüche würden uns alle ärmer machen. Dies ist – siehe oben – falsch. Es gibt im Zyklus von Blasenbildungen immer Gewinner und Verlierer. Insgesamt ist es ein Nullsummenspiel – Gewinne und Verluste gleichen sich aus. Wer frühzeitig so clever war, sich von der heißen Kartoffel zu trennen, hat auf Kosten desjenigen, der unverdrossen an weiter steigende Preise geglaubt hat, profitiert. Aber dies ist nur die halbe Wahrheit, weil die Finanzvermögen, wie bereits im Abschnitt → abartige Entwicklung deutlich wurde, nicht gesunken, sondern – im Gegenteil und allen monetären Krisen zum Trotz – kontinuierlich angestiegen sind. Die Prozesse der → Geldschöpfung wirken also nachhaltiger als diejenigen der sogenannten Geldvernichtung.
Folge des angeblichen Geldvernichtungsprozesses ist allerdings → Ungleichheit . Die Kluft zwischen Arm und Reich muss umso größer werden, je häufiger ein solcher Prozess auftritt. Die zunehmende Spekulationsneigung von Privat- und Geschäftskunden (Finanzialisierung, siehe unter → Finanzindustrie ) wird zwangsläufig massive Vermögensverschiebungen verursachen, die nach ähnlichen Mustern ablaufen wie die Gewinn- und Verlustaufteilung zwischen den Anlegern A, B, D und D in unserem Beispiel. Wie stark diese Verschiebungen letztendlich sein werden, weiß man nicht. Und es wird natürlich auch immer wieder zu Ausgleichseffekten kommen: Im Beispiel war D der »Loser« und C der große »Winner«, beim nächsten Deal kann es umgekehrt sein. Auch über das Ausmaß solcher Ausgleichseffekte kann man keine verlässlichen Aussagen treffen. Eines steht jedoch fest – das ganze System ist faul.
Griechenland und Island
Island war bis in das 20. Jahrhundert weitgehend landwirtschaftlich geprägt. Dann zog die Finanzindustrie in das Land der Geysire und Vulkane ein. Im Jahr 2003 arbeiteten 72 Prozent der Beschäftigten im Dienstleistungssektor, vornehmlich in der aufstrebenden Finanzindustrie. Dort taten sich die drei größten isländischen Banken, Kaupthing, Landsbanki und Glitnir, als global player hervor. Das Trio hatte bis 2007 Kredite in Höhe von 125 Milliarden Euro in seinen Bilanzen, was mehr als das Achtfache der wirtschaftlichen Leistung des gesamten Landes war. Dann kam besagte Finanzkrise, das → Misstrauen der Banken untereinander setzte ein; Kaupthing, Landsbanki und Glitnir konnten sich nicht mehr bei anderen Banken mit notwendigen Geldmitteln versorgen und wurden zahlungsunfähig. Für viele deutsche Anleger, die per Mausklick ein attraktives isländisches Festgeldkonto eingerichtet hatten und erst nach langem politischen Hin und Her entschädigt wurden, ist vor allem der Name Kaupthing bis heute in unangenehmer Erinnerung (vgl. → Einlagensicherung ).
Das Land benötigte Finanzhilfen in Milliardenhöhe. Dennoch waren die Dimensionen nicht vergleichbar mit denjenigen Summen, die einige Jahre später im Fall Griechenland zur Disposition standen. Flächenmäßig gesehen überragt die Republik im Südosten Europas den Inselstaat im hohen Norden nur um etwa 27 Prozent. Einwohnerzahl und Bruttoinlandsprodukt sind jedoch bedeutend höher. Beim Bruttoinlandsprodukt erreicht Griechenland einen Wert von ca. 230 Milliarden Euro. Damit ist die Schieflage für die Europäische Union schon erheblich bedrohlicher.
Ende November 2009 musste die Regierung des damaligen griechischen Ministerpräsidenten Giorgios Andrea Papandreou ein Staatsdefizit von 12,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (→ BIP ) feststellen. Ferner drohte im Haushaltsjahr 2010 ein Schuldenstand von 121 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (nach dem Vertrag von → Maastricht sind maximal 60 Prozent erlaubt, was allerdings derzeit nur wenige Länder der EU schaffen). Nachdem man bis Anfang 2012 mit etwa 350 Milliarden Staatsschulden einen Wert von 160 Prozent erreicht hatte, musste ein Schuldenschnitt (→ haircut) her.
Der brachte jedoch keine Wende. Die Staatsschulden kletterten wieder nach oben, und die Diskussion um eine mögliche
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