Das kritische Finanzlexikon
einem Kontoauszug oder als Sparbucheintragung (Buchgeld) oder als gespeicherte Information, zum Beispiel auf einem Geldkartenchip (elektronisches Geld) vor. Bei der Beantwortung der zweiten Frage wird es schwieriger. Beginnen wir mit einer kurzen Arbeitsdefinition:
Geld ist ein Stoff (Bargeld) oder auch Nicht-Stoff (Buchgeld beziehungsweise elektronisches Geld), an den im Normalfall alle glauben und von dem alle annehmen, dass man damit heute oder auch zu einem späteren Zeitpunkt etwas Vernünftiges oder Schönes erwerben kann.
Hier wird bereits deutlich: Geld an sich hat keinen Wert, nur der Glaube an seinen Wert bestimmt den Geldwert.
Ein Geldschein ist nichts anderes als ein Schuldschein. Beim Buchgeld oder beim elektronischen Geld haben wir es einer schlichten Information zu tun, wir haben gleichzeitig aber das berechtigte Gefühl, dass es jederzeit möglich ist, sich Schuldscheine im entsprechenden Gegenwert der Information beschaffen zu können. Für jeden Geldschein »schuldet« der Staat respektive die Zentralbank uns etwas. Ein 50-Euro-Schein repräsentiert eine »Schuld« von 50 Euro, die Zentralbank (zum Beispiel Deutsche Bundesbank, Österreichische Nationalbank beziehungsweise das »Chefinstitut« dieser beiden, die → Europäische Zentralbank ) »schuldet« dem Besitzer des Scheins 50 Euro. Entsprechend »schuldet« die Schweizerische Nationalbank jedem Inhaber eines Franken-Scheins den auf diesem Schein aufgedruckten Wert. Wenn man es auf diese Weise ausdrückt, wird deutlich, dass Geld keine »Deckung« aufweist. Geld sind abstrakte Schulden, auch wenn ein konkreter Schein auf dem Tisch liegt. Die Zentralbank denkt auch gar nicht daran, ihre »Schuld« einzulösen. Wie denn auch? Das Gelächter wäre ziemlich groß, würde jemand auf die Idee kommen, mit einem 100-Euro-Schein zur Deutschen Bundesbank zu gehen und dort einen Teil der Inneneinrichtung als Geldscheindeckung einzufordern.
Geldschulden werden also nicht zurückgezahlt. Im Gegenteil: Das ausgegebene Geld zirkuliert immer weiter; und es kann beliebig vermehrt werden. Lediglich Kriege oder eine Währungsumstellung – das friedliche Pendant zum Krieg – beenden die Wirkungsmacht der über die Ausgabe einer Währung generierten Schulden. In beiden Fällen kommt es jedoch bald wieder zum Aufbau eines neuen Geldsystems und damit zu einer neuen Form von Schulden. Die Geschichte des Geldes ist also eine Geschichte der Schulden. Der Anthropologe und Kapitalismuskritiker David Graeber weist in seinem Buch Schulden – die ersten 5 000 Jahre nachdrücklich auf diesen Zusammenhang hin. Zudem macht er in seinem Werk deutlich, dass mit der Implementierung von Geldsystemen auch zwangsläufig politische Machtkonstellationen verbunden sind. Durch Geld und Zinsen können Schulden exakt quantifiziert werden. Das Geld selber hingegen ist substanzlos; es hat keinen Wert, oder, wie Graeber es ausdrückt, keine Essenz.
Wenn Geld einerseits keinen eigentlichen Wert hat und andererseits ein treffliches Instrument zur Ausübung wirtschaftlicher, politischer, ja sogar militärischer Macht darstellt, wird es ganz leicht zum Erfüllungsgehilfen staatlichen Machtstrebens. Die dem Geld eigentlich zugedachte (pragmatische) Rolle als einheitliche Rechengröße und Transaktionsvehikel gerät ins Hintertreffen; es geht für ein Land mit dem entsprechenden Sendungsbewusstsein und der dazu passenden Größe seines wirtschaftlich-militärischen Komplexes dann vor allem darum, den Rest der Welt davon zu überzeugen, dass die eigene Währung als »Leitwährung« fungieren soll. Wenn möglichst viele real- und finanzwirtschaftliche Transaktionen in der Leitwährung ausgeführt werden, wenn die Leitwährung als Währungsreserve von den Zentralbanken anderer Staaten gehalten wird, kultiviert man den Nimbus des starken, unangreifbaren Landes – mögen auch, wie im Fall der Vereinigten Staaten, einige wirtschaftliche Daten dagegensprechen. Zum Beispiel die Staatsschulden oder die Wirtschaftskraft. Rechnet man die amerikanische Verschuldung in unsere Währung um, so ergeben sich etwa 12 000 Milliarden Euro. Die 27 Staaten der Europäischen Union (EU) kommen zusammen auf etwa 11 000 Milliarden Euro. Bei der Wirtschaftskraft, gemessen am Bruttoinlandsprodukt (→ BIP ), liegt die EU mit etwa 900 Milliarden vor den USA. Verfolgt man auf der anderen Seite die zahlreichen Verlautbarungen zur »Staatsschuldenkrise«, spielen sich die eigentlichen Probleme offenbar eher in Europa
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