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Das kritische Finanzlexikon

Das kritische Finanzlexikon

Titel: Das kritische Finanzlexikon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Wierichs
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sich: Kauft eine Bank zum Beispiel 100 Millionen Euro der 6-Prozent-Anleihe eines Unternehmens, die mit einem Gewichtungsfaktor von 100 Prozent versehen ist, müssen nach Basel II 8 Millionen Euro an Eigenkapital vorgehalten werden. Der gleiche Betrag ergibt sich, wenn die Bank 200 Millionen einer 6-Prozent-Staatsanleihe erwirbt, deren Gewichtungsfaktor 50 Prozent beträgt. Vorausgesetzt, die Bank hat – zum Beispiel über eine großzügige und zinsgünstige Geldzuteilung durch die → Europäische Zentralbank – die für eine Verdoppelung der Anlagesumme von 100 auf 200 Millionen Euro notwendigen Finanzmittel an der Hand. So kann der Zinsertrag um das Doppelte gesteigert werden. Auf der anderen Seite steigt das Risiko, denn bei einem Wertverlust der Staatsanleihe wird das entstehende Bilanzloch doppelt so groß sein.
    Man muss sicherlich über Strukturreformen in Ländern wie Griechenland nachdenken. Mindestens genauso wichtig ist das Problem der Unterkapitalisierung des Finanzsektors. Dessen ungeachtet zeigen die Vertreter der Finanzindustrie jedoch unverdrossen mit dem Finger auf die Staaten und prangern deren »unverantwortliche Schuldenpolitik« an. Hierüber spricht keiner.
    Und so gelangen wir über die sogenannte Euro- und Staatsschuldenkrise wieder einmal zu einer Bankenkrise.

H
    Finanz-Coiffeure und weitere Sonderlinge
    Wer sein Leben verändern möchte, lässt sich häufig für’s Erste einen neuen Haarschnitt verpassen. Das kann allerdings nach hinten losgehen, genau wie der haircut in der Finanzwelt. Das Geld für den Finanz-Coiffeur besorgen wir uns, indem wir hebeln . Auch Hedgefonds müssen versuchen, eine Radikalrasur zu vermeiden. Doch das schaffen die schon – sie gehören ja schließlich zu den Heuschrecken . Die sind im Gegensatz zu den Hedgefonds zwar nicht im high frequency trading unterwegs, haben dafür aber andere Tricks auf Lager. Und die größte Lachnummer der Wirtschaftswissenschaften, der homo oeconomicus , schaut zu und lacht sich halb tot.

haircut
    Die Eberhard Foster Gastronomie GmbH ist finanziell am Ende. Letztlich haben preisaggressive Konkurrenz, steigende Kosten und mangelndes Interesse der Bevölkerung an einem edlen Speiserestaurant das Unternehmen in die Knie gezwungen. Es geht in die Insolvenz.
    Früher hat man »Konkurs« gesagt. Vielleicht war auch ein »Vergleich« noch drin. Beim Konkurs war nicht mehr viel zu holen; die Gläubiger konnten froh sein, wenn die Kosten des Verfahrens gedeckt waren und vielleicht noch 4 oder 6 Prozent der ursprünglichen Forderung beglichen wurden. Beim Vergleich war etwas mehr zu holen. Man verzichtete beispielsweise auf die Hälfte der Forderung, das Unternehmen konnte weitermachen, und zukünftig waren wieder Geschäfte möglich.
    Heute spricht man nur noch von »Insolvenz«. Sie ermöglicht beide Wege, sowohl die Auflösung als auch die Weiterführung des Unternehmens nach einer Schuldenreduzierung. Interessant wird es, wenn sich Politiker im Zusammenhang mit überschuldeten Staaten wie beispielsweise Griechenland mit Begriffen wie »geordnete Insolvenz« wichtig tun.
    Kann ein Staat überhaupt pleitegehen?
    Eine → Staatspleite ist, rechtlich gesehen, nicht möglich (vgl. → Insolvenz, Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung ). Denn ein Staat wird ja nicht aufgelöst. Ein Unternehmen wie die obige Eberhard Foster Gastronomie GmbH kann hingegen durchaus von der Bildfläche verschwinden. Der Insolvenzverwalter wird hier das Vermögen liquidieren, also zu Geld machen, um mit dem Gegenwert die Verfahrenskosten abzudecken (zu denen natürlich auch sein nicht gerade auf Hartz-IV-Niveau befindliches Gehalt zählt) und mit dem eventuell verbleibenden Rest die übrigen Gläubiger anteilmäßig auszahlen. Wie soll das im Falle Griechenlands gehen? Verkaufen wir die Akropolis an die Japaner, den Hafen Piräus an einen arabischen Scheich und den Olymp an die Brasilianer? Das wäre nun wirklich übertrieben, aber tatsächlich ist die eine oder andere Insel im Ägäischen Meer, ebenso wie die eine oder andere bislang staatliche Institution, schon im Angebot.
    Weniger das Staatsvermögen als vielmehr die Schulden stehen bei der Beurteilung von Staaten im Fokus. Griechenland hatte bis Anfang März 2012 etwa 350 Milliarden Euro Schulden. Das meiste davon entfiel auf Anleihen. Zufällig hat auch Eberhard Foster für sein Privatvermögen im November 2010 20 000 Euro Nennwert der Anleihe GR0124024580 gekauft. Da stand die Schuldverschreibung mit

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