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Das kritische Finanzlexikon

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Titel: Das kritische Finanzlexikon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Wierichs
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6-Monats-US-Dollar-Libor steht für das Zinsniveau bei der Aufnahme beziehungsweise Anlage von amerikanischen Dollars für ein halbes Jahr.
    Neben dem Libor gibt es zahlreiche weitere solcher Zinsbarometer. Der Euribor ( Euro InterBank Offered Rate ) ist das in den Euroländern zur Anwendung kommende Pendant für Geldaufnahmen/-anlagen unter Banken. Für europäische Interbankengelder, die nur für einen Tag gehandelt werden, zeigt der Eonia ( Euro OverNight Index Average ) die Höhe des aktuellen Zinsniveaus an.
    Die Ermittlung eines einfachen Durchschnittswertes gehört nicht gerade zu den komplexen mathematischen Kunstfertigkeiten. Nehmen wir an, drei Banken melden ihre Zinssätze, zu dem sie Geld verleihen oder leihen würden:
    • Bank 1: 1,23 Prozent
    • Bank 2: 1,34 Prozent
    • Bank 3: 1,27 Prozent
    Demnach würde man den Durchschnitt mit (1,23 + 1,34 + 1,27) : 3 = 1,28 Prozent ermitteln. Dieser Wert ist rechnerisch korrekt, die Frage ist jedoch, ob er der Realität entspricht. Und genau hier lag der Haken beim Libor-Skandal. Es ging um die Meldungen von 16 Banken, unter ihnen die Barclays Bank. Mitte 2012 stellte sich heraus, dass die gemeldeten Werte dieser großen britischen Bank über Jahre hinweg nach unten manipuliert worden waren. Gemäß dem schlichten Mechanismus: »hoher Zins = hohes Risiko, lässt also schlechte Bonität vermuten; geringer Zins = geringes Risiko, lässt also auf gute Bonität schließen« hatten die verantwortlichen Melder Zinssätze angegeben, die deutlich unter den Sätzen für die tatsächlich abgeschlossenen Geschäfte lagen. Würde, auf unser obiges Beispiel bezogen, jede der Banken also den gemeldeten Satz um 0,04 Prozent niedriger ansetzen, käme im Endergebnis ein Satz von 1,24 Prozent heraus, was schon ein wenig netter aussähe. (Man muss immer bedenken, dass es im → Investmentbanking um riesige Summen geht. Ein Unterschied von 0,04 Prozent würde, auf ein Jahr und eine Summe von 10 000 Euro berechnet, ganze 4 Euro ausmachen; auf 1 Milliarde Euro bezogen, hätten wir es mit einem Betrag von 400 000 Euro zu tun.)
    Bob Diamond (was für ein Name für einen Top-Banker!), geschäftsführender Vorstand des britischen Finanzunternehmens Barclays PLC, musste nach Aufdeckung des Skandals zurücktreten. Im Abgang zog er noch Her Financial Majesty , die Bank von England, mit in den Sumpf: Diese habe von den Manipulationen nicht nur gewusst; sie seien von ihr ausdrücklich geduldet worden. Das britische Zinsniveau sollte gefälligst entspannt daherkommen.
    Alles auf Treu und Glauben ausgerichtet. Ein Finanzheiligtum wie der Libor (genauso heilig wie ein → Index ) entpuppt sich als Dauer-Fake. Offenbar sind solche Betrügereien in der Finanzwelt mit ihren abstrakten Größen, den laxen Aufsichtsbehörden und dem allseits grassierenden Deregulierungswahn ganz leicht zu bewerkstelligen.
    Die Konsequenzen sind jedenfalls gewaltig. Denn ebenso wie ein Börsenindex dienen Libor, Euribor und Co. als Basis sowohl für komplexe Finanzprodukte (z.B. → Derivate oder → Fondsanlagen ) als auch für relativ schlichte Anlageformen (z.B. Sparbriefe oder Baufinanzierungen). Das Volumen dieser an einem Interbanken-Durchschnittszins orientierten Produkte ist im Bereich von mehreren Billionen US-Dollar zu verorten. Selbst eine geringfügige Manipulation der Zinssätze würde regelmäßig eine Wertverschiebung um Milliarden Dollar verursachen. Das ist eine Dimension, bei der die Finanzwelt sofort hellhörig wird. Man kann sich getrost auf verschärfte Schadenersatzklagen einstellen, und einige hoch spezialisierte Anwaltskanzleien dürften sich die Hände reiben.
    Man muss sich das Ganze noch einmal auf der Zunge zergehen lassen: Eine Handvoll Banken ist verantwortlich für die Ermittlung eines Börsenbarometers, bei dem selbst minimale Ausschläge für Vermögensverschiebungen in Milliardenhöhe sorgen können. Kernpunkt der Ermittlung ist ein schlichtes Meldesystem, dessen Kontrollmechanismen offenbar schmählich versagt haben.
    Der Libor-Skandal weitete sich übrigens schnell aus; in mehreren Ländern wurde ab Mitte 2012 gegen international tätige Banken wegen des Verdachts eines ähnlichen Vorgehens ermittelt.
    Man wollte halt gut aussehen. Die Zinsen künstlich niedrig halten – »das sorgt für liquide Märkte«.

Liquidität
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