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Das kritische Finanzlexikon

Das kritische Finanzlexikon

Titel: Das kritische Finanzlexikon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Wierichs
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Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Das erhöht den Druck auf das Land.
    • Bleibt wiederum eine handfeste Reaktion aus, wird das Sünderland »in Verzug gesetzt«; es muss dann Sanierungsmaßnahmen einleiten.
    • Tut sich weiterhin nichts, können finanzielle Sanktionen verhängt werden, z.B. Geldbußen, Auflagen bei der Emission von Anleihen oder die Hinterlegung unverzinslicher Einlagen. Solche Sanktionen müssen jedoch mit einer deutlich über 50 Prozent liegenden »qualifizierten Mehrheit« getroffen werden.
    Kein Wunder, dass Länder wie Griechenland oder Italien im Schatten solcher Regelungen bereits vor 2010 ihre Schulden erheblich ausweiten konnten. Wir sollten an dieser Stelle allerdings nicht selbstgerecht mit dem Finger auf andere zeigen. Denn erstens ist die Frage nach der Plausibilität festgezurrter Werte für Verschuldungshöhen und -grenzen zu stellen (vgl. → Maastricht ) und zweitens lag auch in Deutschland (ebenso wie in Österreich) bereits häufig ein Verstoß gegen den europäischen Stabilitätspakt vor. Aufgrund der qualifizierten Mehrheit und der mannigfaltigen Ausnahmeregelungen waren Sanktionen gegen beide Länder bislang kein Thema.
    Aber jetzt wird die Entschuldungskeule ausgepackt. Es soll gefälligst gespart werden! Der Fiskalpakt (vgl.→ Eurobonds ) soll es richten.

M
    Von Marktplätzen und Märkten
    Unsere Städtereise führt uns weiter nach Maastricht. Dort wurde das Grundgesetz für den Eurowährungsraum geschaffen. Dieser große Raum hat uns einen riesigen Binnenmarkt beschert. Hier tummeln sich nicht nur die market maker. Überhaupt: Er hat immer Recht, der Markt . Wir beugen uns seinem Diktat, und die Marktakteure nehmen unsere Servilität mit großem Wohlwollen zur Kenntnis. Aber wehe, wenn sich auf den Märkten das Misstrauen ausbreitet.

Maastricht
    1992 wurde im niederländischen Maastricht ein Vertrag geschlossen, der die Bestimmungen zur Schaffung der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion in drei Stufen regelt. Frühestens zum 1. Januar 1997, spätestens zum 1. Januar 1999 sollte in der EU eine gemeinsame Währung, der Euro, eingeführt wurden. Zur Teilnahme an dieser Union musste ein Land bestimmte wirtschaftliche Kriterien (die sogenannten EU-Konvergenzkriterien, auch als Maastricht-Kriterien bezeichnet) erfüllen. Die gemeinsame Währung sollte nämlich eine stabile sein.
    Man stellte einen bunten Strauß wichtiger Kennzahlen zusammen, die einen Aufschluss über die Wirtschaftskraft eines Landes geben sollen:
    • Preisstabilität: Die Inflationsrate des Euroland-Aspiranten darf den Durchschnitt der drei preisstabilsten Länder um nicht mehr als 1,5 Prozentpunkte übersteigen.
    • Zinsen für langfristige Staatsanleihen (Restlaufzeit etwa 10 Jahre): Sie dürfen höchstens 2 Prozentpunkte über dem Durchschnitt der Zinsen für entsprechende Staatsanleihen in den drei stabilsten europäischen Ländern liegen.
    • Wechselkursstabilität: Die Währung des potenziellen Eurolandes darf zwei Jahre vor dem Beitritt nicht zu stark abgewertet worden sein.
    • Haushaltsdisziplin: Die Neuverschuldung darf höchsten 3 Prozent des BIP betragen.
    • Staatsverschuldung: Die Gesamtverschuldung der öffentlichen Haushalte darf maximal 60 Prozent des BIP betragen.
    Das waren also die Voraussetzungen zur Einlösung eines Eintrittstickets in den Euroverbund. Die beiden letzten Kriterien sind von besonderer Bedeutung. Griechenland durfte nicht von der ersten Stunde an mitmachen, aber die Vereinigung war politisch gewollt und bereits 2001 gab man grünes Licht, obwohl im Grunde genommen klar war, dass das Land die Kriterien – wenn überhaupt – nur aufgrund windiger Statistik-Mauscheleien sowie mit tatkräftiger Unterstützung der Finanzbranche (vgl. → Griechenland und Island ) erfüllen konnte. Aktuell sehen fast alle Euroländer aus Sicht oben genannter Kriterien in Bezug auf Haushaltsdisziplin und Staatsverschuldung mehr als alt aus.
    Über die Schuldenquote von Staaten wird im Zusammenhang mit der sogenannten Austeritätspolitik heftig diskutiert. Ab wie viel Prozent ist das Verhältnis von Staatsschulden und Bruttoinlandsprodukt nicht mehr tragbar? Wann muss der Staat bei seinem Haushalt Strenge und Sparsamkeit (Austerität) walten lassen? Vor einigen Jahren kamen die HarvardProfessoren Kenneth Rogoff und Carmen Reinhart in ihrem Buch Diesmal ist alles anders: Acht Jahrhunderte Finanzkrisen zu dem Schluss, dass eine Schuldenquote von über 90 Prozent die

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