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Das kritische Finanzlexikon

Das kritische Finanzlexikon

Titel: Das kritische Finanzlexikon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Wierichs
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mehr von der »Europäischen Gemeinschaft (EG)«, sondern von der »Europäischen Union (EU)«. Ein bahnbrechender Schulterschluss!
    Die sogenannte Euro- und Staatsschuldenkrise hat zunächst einmal die Frage aufgeworfen, inwieweit die Euroländer sich untereinander im Falle von Zahlungs- und Bonitätsschwierigkeiten (Beispiel Griechenland) unter die Arme greifen können/sollen/dürfen. Im Vertrag von Lissabon (sowie in den bereits vorgeschalteten europäischen Verträgen) gilt nach wie vor die No-Bailout-Klausel: »Die Union haftet nicht für die Verbindlichkeiten der Zentralregierungen.« Legt man diesen Grundsatz sehr eng aus, erübrigt sich eigentlich jegliche Diskussion um einen → Rettungsschirm . Dann sollen die Griechen, Italiener etc. eben sehen, wie sie zurechtkommen, und notfalls aus dem Euroverbund austreten. So einfach ist es aber leider nicht, da ein Scheitern des Euro erhebliche wirtschaftliche Beeinträchtigungen für die europäischen Staaten, insbesondere für das exportstarke Deutschland, mit sich bringen würde.
    Die Artikel 120 bis 126 AEUV befassen sich mit der Wirtschaftspolitik in der EU und damit auch mit der Frage gegenseitiger finanzieller Hilfen. So sieht Artikel 122 einen finanziellen Beistand für einen Mitgliedsstaat im Falle von »Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Ereignissen« vor. (Was Naturkatastrophen sind, kann man sich noch vorstellen, aber was, bitte schön, sind jetzt »außergewöhnliche Ereignisse«?)
    Vielleicht fand ein solches Ereignis im November 2012 statt. Im Zuge des zweiten Hilfspakets für Griechenland musste Finanzminister Schäuble erstmalig auf Hunderte Millionen Euro verzichten, die er eigentlich schon für seinen Haushalt einkalkuliert hatte. Um die Auszahlung der auf dem Peloponnes dringend benötigten internationalen Hilfsmittel zu gewährleisten, ließen sich die anderen Euroländer auf Zinssenkungen und eine Verlängerung von Kreditlaufzeiten für Griechenlandschulden ein. Beide Maßnahmen können mit Fug und Recht als »gegenseitige finanzielle Hilfe« bezeichnet werden.
    Interessant ist auch der Artikel 123 aus dem Vertrag von Lissabon. Dieser verbietet Kredite der EZB (→ Europäische Zentralbank ) an Mitgliedsstaaten beziehungsweise deren Organe. (Hier wird es interessant, wenn man die umfangreichen Staatsanleihenankäufe, vgl. → quantitative easing , der EZB vor dem Hintergrund dieser Regelung betrachtet. Diese Ankäufe stellen de facto nämlich eine Staatsfinanzierung dar, formal sind sie es jedoch nicht.)
    Einen besonderen Leckerbissen bietet der Artikel 126 AEUV. In dem geht es nämlich um die → Staatsverschuldung . Wer sich durch diese gut zwei DIN-A-4-Seiten umfassenden juristischen Ergüsse durcharbeitet, erhält nicht nur Einblick in das Institutionen- und Kompetenzgeflecht der EU; er erfährt auch, wie Regelungen, die eigentlich einer gewissen Härte und Konsequenz bedürfen, so aufgeweicht und juristisch durchgekocht werden, dass sie keinem Schuldensünder so richtig weh tun.
    Zu Beginn dieses Artikels wird das edle Bekenntnis aufgeführt: »Die Mitgliedstaaten vermeiden übermäßige öffentliche Defizite.« Dann wird das Prozedere beschrieben, welches in Gang kommt, falls es irgendeinem Land denn doch einfallen sollte, solche Defizite aufzubauen. Der EU-Kommission (eine Art europäische Regierung, bestehend aus 27 Kommissaren) kommt die ehrenvolle Aufgabe zu, die Haushaltslage der Mitgliedsstaaten zu überwachen. Dafür gibt es Kriterien, bei denen es im Wesentlichen um das Verhältnis der Staatsschulden zum Bruttoinlandsprodukt geht (→ BIP ; vgl. auch → Maastricht ). Vereinfacht kann man die Mechanismen, die im Falle zu hoher Verschuldung eines Mitgliedsstaates gelten, wie folgt darstellen:
    • Wenn die Schulden gemäß den Kriterien zu hoch sind und keine der in Artikel 126 dargelegten Ausnahmeregelungen greift, erstellt die Kommission zunächst einmal einen Bericht.
    • Jetzt kommt der Rat der Europäischen Union (EU-Ministerrat) ins Spiel. Für den arbeitet, wenn es um Wirtschafts- und Finanzfragen geht, ein Wirtschafts- und Finanzausschuss. Dieser Ausschuss gibt zu dem Bericht dann eine Stellungnahme ab.
    • Der EU-Ministerrat entscheidet jetzt, ob wirklich ein übermäßiges Defizit vorliegt. Ist er dieser Auffassung, gibt er dem betroffenen Mitgliedsland Empfehlungen zur Überwindung der misslichen Lage.
    • Bleibt nach einiger Zeit eine handfeste Reaktion auf die Empfehlungen aus, können diese der

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