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Das kritische Finanzlexikon

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Titel: Das kritische Finanzlexikon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Wierichs
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dahinter steht natürlich der Mensch, welcher die Maschinen mit Daten und Anweisungen füttert.
    So auch bei → Xetra , dem elektronischen Handelssystem der Deutschen Börse in Frankfurt am Main. Die Situation für eine bestimmte Aktie könnte dort zu einem bestimmten Zeitpunkt wie folgt aussehen:

    Der Computer weiß, dass es im Moment nichts zu holen gibt. Die Käufer sind maximal bereit, 36,00 Euro für die Aktie zu zahlen, die Verkäufer hingegen wollen mindestens 36,02 Euro haben. In diesem Moment erteilt nun ein Anleger seiner Bank den Auftrag, 450 Y-Aktien zu verkaufen. Der Anleger lässt den Auftrag zu 35,97 limitieren. Seine Bank leitet den Auftrag weiter an das System und dieses erkennt nun, dass die oberen 100 Stück sowie die nachfolgenden 250 Stück bei den Kauforders jetzt bedient werden können. Für den Anleger wird also zu diesem Zeitpunkt eine Teilausführung erreicht; die restlichen 100 Aktien müssen noch warten. Der Kurs liegt jetzt bei 35,97 Euro. Unser Computer hat die zueinander passenden Aufträge automatisch zusammengeführt. Das nennt sich matching .
    Nun ist dies zunächst einmal sehr unspektakulär. Aber stellen wir uns mal vor, dass es aufgrund irgendeiner Meldung zu einer Verkaufspanik bei Y-Aktien kommt. Es könnte ja zum Beispiel heißen, die betreffende Aktiengesellschaft müsse demnächst eventuell eine hohe Konventionalstrafe zahlen, die zu einem Gewinneinbruch führen dürfte. Oder es geht eine Ad-hoc-Meldung des Inhalts ein, dass der Gewinn im letzten Quartal unerwartet stark gesunken ist. Oder es droht ein großer Schadenersatzprozess.
    Jede dieser Meldungen kann überakzentuiert, hysterisch, ja im Extremfall sogar falsch sein. Der Markt reagiert aufgrund der engen Vernetzung aller Beteiligten jedoch prompt. Dann würde eben kein kleiner Anleger einen relativ unbedeutenden Auftrag erteilen, nein, in das System würden massenweise Verkaufsaufträge eingespeist – mit oder ohne Limit. In unserem Beispiel würden entsprechend hohe Stückzahlen bei den Verkaufsaufträgen zum Limit 31,00 Euro die Käuferseite komplett abräumen und den Kurs deutlich nach unten ziehen. Einem weiteren Kursverfall steht dann nichts mehr im Wege.
    Auch kleinere Pannen reichen heutzutage schon aus, um die Kurse so richtig in Bewegung zu bringen. Die im Oktober 2012 veröffentlichten Quartalszahlen von Google waren recht enttäuschend. Schlimmer war jedoch, dass der Mitarbeiter einer Vertragsfirma des Suchmaschinen-Konzerns eine entsprechende Pressemitteilung mit den Ergebnissen drei Stunden zu früh verschickte. Das reichte, um den Kurs innerhalb weniger Minuten um 68 US-Dollar nach unten rauschen zu lassen. Dieses Beispiel gibt einiges über die irrationalen Mechanismen des Handelns an den (angeblich so rationalen) Börsenmärkten preis. Gewiss hätte auch eine fristgemäße Veröffentlichung der enttäuschenden Zahlen zum Kursrückgang geführt. Aber offensichtlich werteten die Marktteilnehmer aus einer überspitzten emotionalen Sicht heraus die Kommunikationspanne als weiteres »Versagen« des Unternehmens und reagierten daher besonders heftig. Im Kursverlauf findet sich der Vorgang rückblickend als markante, auffällige Senkrechte wieder.
    An den Börsenmärkten ist aber nicht nur das Phänomen eines irrationalen Überschwangs in Einzelsituationen zu beobachten. Noch ein weiterer Aspekt im Zusammenhang mit dem allseits grassierenden Börsen- und Kursfetischismus unserer Tage ist wichtig: Der moderne »Markt« ist extrem anfällig für Manipulationen. Es kommt nicht von ungefähr, dass immer wieder Fälle aufgedeckt werden, in denen fragwürdige Herausgeber von Börsen- oder Anlegerblättchen vermeintliche Stars hochjubeln oder angebliche Flops niedermachen. In beiden Fällen kann der marktschreierische Initiator profitieren. Er deckt sich vorher mit der hochgejubelten Aktie ein und verkauft sie dann später, wenn hinreichend viele der vermeintlich cleveren Blättchenleser auch auf den Zug aufgesprungen sind. Verbreitet ein Börsenblatt hingegen miese Stimmung gegen eine Gesellschaft, könnte es sein, dass dahinter jemand steht, der sich mit Verkaufsoptionen (→ put ) auf die betreffende Aktie eingedeckt hat und diese bei entsprechend gesunkenem Kurs erfolgreich liquidiert.
    Versuchen wir also »den Markt« zunächst einmal als das simple Schema zu begreifen, welches uns in Form einer nüchternen Liste oder Datei mit Kauf- und Verkaufsaufträgen präsentiert wird. Dies ist sozusagen das Grundmuster

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