Das kritische Finanzlexikon
her. Da nach deutschem Recht das Mindestkapital für eine Aktiengesellschaft 50 000 Euro beträgt und eine Aktie über einen Mindestnennbetrag von einem Euro lauten muss, sind bei einer Gründung zum Mindestkapitalbetrag nicht mehr als 50 000 Aktien herauszuholen. Das ist nicht sonderlich viel. In der Schweiz sieht es besser aus: Hier können Aktien auf den Nennwert eines einzigen Rappen lauten. Da kann man dann aus 50 000 Franken schon fünf Millionen Aktien basteln. Außerdem muss das Kapital nicht ausschließlich als Geldeinlage in die neue AG fließen. Man kann auch Sacheinlagen leisten, zum Beispiel Autos, Computer, Grundstücke etc.
Im nächsten Schritt werden die Aktien an die Börse gebracht. Sie können zum Beispiel am Frankfurter open market »gelistet« werden. Bei diesem Listing handelt es sich um die luftigste Zulassungsform. Kein lästiger Zulassungsprospekt ist zu erstellen, und eine Haftung für unrichtige Angaben im Prospekt gibt es somit logischerweise auch nicht. Dann ist unsere AG zwar nicht offiziell an der Börse notiert, aber wer achtet schon auf solche kleinen Unterschiede. Hauptsache, die Aktien können, nachdem sie zum Handel zugelassen wurden, laufend ge- und verkauft werden. Es beginnt jetzt der muntere Handel. Zunächst kaufen irgendwelche Hintermänner sich gegenseitig Aktienpakete ab. Dadurch pendelt sich der Kurs auf einem angemessenen Niveau ein; im Zweifel ist dies der Nennwert von einem Euro. Zugleich wird kräftig PR betrieben: Das Geschäft läuft toll an, es ergibt sich bald vermutlich eine Kooperation mit einem renommierten Unternehmen, vielversprechende Patente sind in der Pipeline – lauter Börsenblödsinn, alles marktschreierisch, letztendlich jedoch vage formuliert. Der Kurs wird systematisch hochgepusht, die Initiatoren des ganzen Brimboriums fahren Gewinne ein. Zwischenzeitliche Kurseinbrüche werden als Chance zum günstigen Einstiegspreis schöngeredet. Wenn der Schwindel auffliegt, haben die Kleinanleger ihr Geld verloren und die Initiatoren sind reich geworden. Es gibt, wie bei allen Trickbetrügereien, erschreckend viele Menschen, die immer wieder auf solche billigen Maschen hereinfallen. Da die Gauner in Sachen → offshore sehr beschlagen sind und ihre Spuren kunstvoll verwischen, ist ihnen straf- und zivilrechtlich meist nicht beizukommen.
over the counter (OTC)
Derivate ermöglichen hohe Gewinne bei geringem Kapitaleinsatz (vgl. → leverage ). Sie können an Börsen (zum Beispiel Euwax oder Eurex; vgl. → naked warrants ) oder außerbörslich gehandelt werden. Beim außerbörslichen Handel schließen die Vertragsparteien (Käufer und Verkäufer des Derivates) eine Vereinbarung und handeln autonom in dem Sinne, dass keine vermittelnde Börse bei dem Geschäft einbezogen wird. Außerbörslich können standardisierte und nicht standardisierte Produkte gehandelt werden. Standardisiert sind Produkte, wenn für sie einheitliche Bedingungen durch die beteiligten Handelspartner festgelegt wurden, zum Beispiel bestimmte Fälligkeitstermine, Mindestanlagesummen, Regelungen zur Ermittlung und Verrechnung der Spekulationsgewinne etc. Aber auch nicht standardisierte Derivate werden außerbörslich gehandelt; hier liegen eben keine festen Bedingungen vor, solche Bedingungen werden jeweils im Einzelfall zwischen den betreffenden Vertragsparteien individuell festgelegt. Alles, was außerbörslich gehandelt wird, egal ob standardisiert oder nicht, bezeichnet man mit dem Begriff over the counter , wörtlich: über die (Laden-)Theke hinweg , kurz: OTC. Börsengehandelte Derivate sind stets standardisiert.
An den Börsen werden jährlich weltweit Derivate im Wert von etwa 60 Billionen US-Dollar gehandelt. Das globale jährliche Volumen der over the counter gehandelten Derivate wird von der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) hingegen auf gut 700 Billionen US-Dollar geschätzt. Wir haben es also in der Gesamtsumme von etwa 760 Billionen US-Dollar mit einer »Wertschöpfung« an börslichen und außerbörslichen Derivaten zu tun, die elf Mal so hoch ist wie das weltweite Bruttoinlandsprodukt (→ BIP ; etwa 70 Billionen US-Dollar). Zur Rechtfertigung des Derivatehandels führen Finanzlobbyisten das Argument ins Feld, diese modernen Finanzinstrumente dienten primär der Absicherung von Preisänderungsrisiken und nicht spekulativen Zwecken. Eine Absicherung realwirtschaftlicher Vorgänge kann hiermit nicht gemeint sein. Denn in der obigen Gegenüberstellung von
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