Das kritische Finanzlexikon
gehandelten puts ins Verhältnis zu den calls . Im Zähler stehen also die Verkaufsoptionen, im Nenner die Kaufoptionen. Ein sich hieraus ergebender Wert von mehr als 1 (der Nenner ist kleiner als der Zähler) weist dann auf eine schlechte Stimmung (»Bärenmarkt«) hin. Liegt die Ziffer unter 1, gibt es halt mehr Optimisten (im Nenner des Bruches) als Pessimisten.
Aber welchen Erkenntniswert leitet ein denkender Mensch hieraus ab? Im Prinzip keinen. Dies wird deutlich, wenn man sich an einem beliebigen Tag zu zwei relativ kurz hintereinander liegenden Zeitpunkten die ratios ansieht. Das kann an der Derivatebörse Eurex (vgl. → Derivate ) für die ersten beiden Aktien im → DAX so aussehen:
put-call-ratio, 13.00 Uhr
Adidas
1,18 (118 Pessimisten kommen auf 100 Optimisten)
Allianz
0,67 (67 Pessimisten kommen auf 100 Optimisten)
put-call-ratio, 13.30 Uhr
Adidas
1,09 (109 Pessimisten kommen auf 100 Optimisten)
Allianz
1,10 (110 Pessimisten kommen auf 100 Optimisten)
Bei Adidas hat sich in der halben Stunde nicht besonders viel getan. Bei der Allianz sind aber plötzlich die Pessimisten eingefallen, oder was? Wohl kaum, innerhalb kürzester Zeit kann sich wieder ein vollkommen anderes Bild ergeben. Wenn es den rational handelnden → homo oeconomicus wirklich gäbe, so müsste er viele rationale Gründe für jeden Schwenk haben. Hat er aber nicht. Das Börsenhandeln ist gefühlsgeleitet. Und dennoch setzt man unverdrossen auf schein-rationale Kennzahlen – alles im Dienste einer guten Spekulations-Stimmung.
Q
Geld und Güter
Staatsfinanzierung über die Zentralbank? Nein – nur quantitative easing . Die Lockerung der Geldpolitik in hohen Dosen lässt uns auch über die Quantitätsgleichung des Geldes nachdenken. Danach müssten Geld und Güter eigentlich in einem normalen Verhältnis zueinander stehen. Das tun sie jedoch nicht, denn die Geldseite hat eindeutig die Oberhand. Nun – wenn es schon so viel Geld gibt, sollte eigentlich auch der Staat in Form einer Quellensteuer auf Kapitalanlagen profitieren. Ob das auch wirklich klappt?
quantitative easing
Der Begriff quantitative easing steht für den Ankauf von Anleihen (vor allem Staatsanleihen) durch eine Zentralbank. Vielfach werden damit Ausdrücke wie »Geld drucken« oder »die Notenpresse anwerfen« assoziiert, was nicht ganz von der Hand zu weisen ist, obwohl es sich bei dieser Art der → Geldschöpfung im Regelfall nicht um eine Vermehrung von Bargeld handelt. Die Zentralbank, bei uns also die → Europäische Zentralbank (EZB), generiert vielmehr zusätzliches Buchgeld, indem sie den Gegenwert der Anleihen auf Konten gutschreibt. Allerdings nicht auf Konten des Staates, sondern auf Konten der Banken, denn von denen erwirbt sie die Anleihen, nicht vom Staat direkt. Letzteres wäre nämlich ein Agieren am sogenannten Primärmarkt. In der Praxis agiert die EZB aber am Sekundärmarkt. Den Unterschied zwischen Primärund Sekundärmarkthandeln besteht darin, dass die EZB den Banken durch Käufe am Sekundärmarkt ein lukratives Geschäftsmodell verschafft. Dazu ein Beispiel:
Ein Staat im Eurowährungsraum verschafft sich frisches Geld über die Ausgabe einer Anleihe mit vierjähriger Laufzeit. Das Land muss aufgrund eines relativ schlechten → Ratings einen deutlich höheren Zins gewähren als beispielsweise Deutschland oder Österreich. Die Anleihe wird mit einer Verzinsung von 5 Prozent ausgestattet und bei Banken, Versicherungen, Fondsgesellschaften untergebracht. Das läuft über »Gebote«; die Interessenten geben dem Staat gegenüber an, was sie für die Anleihe maximal zu zahlen bereit sind. Angenommen, die Gebote lauten über durchschnittlich 96 Prozent. So wird deutlich, dass die Käufer eine noch höhere Verzinsung einfordern. Sie wollen also nicht nur jährlich 5 Prozent Zinsen vom Staat kassieren, sondern einen Rückzahlungsgewinn realisieren – in diesem Fall 4 Euro nach vier Jahren (die Anleihe wird nach vier Jahren zu 100 Prozent zurückgezahlt), also 1 Euro pro Jahr. Damit liegt die Rendite, der aus Kursgewinn und Verzinsung resultierende Gesamtprofit, deutlich höher als 5 Prozent. 3 Nach ein paar Wochen tritt die EZB auf den Plan. Dem Staat soll geholfen werden, indem die Rendite gedrückt wird. Aufgrund ihrer Fähigkeit, → Geldschöpfung in unbegrenztem Maße betreiben zu können, kann die EZB beispielsweise jetzt ihre Nachfrage nach der Anleihe so intensiv betreiben, dass der Kurs auf 100 Prozent klettert, die Rendite damit dem
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