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Das kritische Finanzlexikon

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Titel: Das kritische Finanzlexikon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Wierichs
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unterbinden, mal werden hohe Bußgelder verhängt, wenn ein Unternehmen versucht, seine marktbeherrschende Stellung auszunutzen. So mussten die Börsen von Frankfurt und New York Anfang 2012 nach einem Veto aus Brüssel ihren Plan für den weltgrößten Handelsplatz endgültig beerdigen. Die EU-Kommission untersagte den Zusammenschluss von Deutscher Börse und NYSE Euronext mit der Begründung, dass hierdurch eine QuasiMonopolstellung beim Handel im Bereich der → Derivate entstehen würde.
    Mitte der 1990er Jahre war die »Generaldirektion Wettbewerb« wieder auf der Suche nach einem spektakulären Fall. Bei einem Meeting fiel dem 27-jährigen Christoph Gleske, der zu dieser Zeit als Praktikant in der Brüsseler Behörde arbeitete, seine Doktorarbeit ein. Darin hatte er etwas über die Privilegien deutscher Landesbanken geschrieben. Landesbank Sachsen, WestLB, Bayrische Landesbank und Co. konnten sich nämlich damals noch zu besonders günstigen Konditionen am Kapitalmarkt Geld beschaffen, da für sie die Gewährträgerhaftung galt.
    Mit diesem Begriff ist die Haftung des Trägers einer Bundesoder Landesanstalt oder auch einer kommunalen Anstalt für den Fall gemeint, dass das Anstaltsvermögen nicht ausreicht, alle Gläubiger zu befriedigen. Auch für Landesbanken galt, ebenso wie für Sparkassen, dieses Prinzip bis 2005. Dabei war die Gewährträgerhaftung den Privatbanken immer schon ein Dorn im Auge gewesen. Denn bei der Aufnahme von Mitteln am Kapitalmarkt waren die Landesbanken klar im Vorteil; emittierte die Bayrische Landesbank beispielsweise eine Schuldverschreibung, konnte sie mit Verweis auf die Gewährträgerhaftung bessere Konditionen herausschlagen als die Deutsche Bank, bei der im Notfall der Freistaat Bayern nicht eingesprungen wäre, um die Anleihe zurückzuzahlen.
    Darüber hatte Christoph Gleske promoviert. Und er brachte dies auf dem besagten Meeting vor. »Brüssel« könne doch da mal nachhaken …
    Jetzt hatten die Wettbewerbshüter ihr Thema, und die Angelegenheit lief plötzlich auf Hochtouren. Bis kurz vor der Jahrtausendwende konnten die Besitzstandswahrer der Gewährträgerhaftung schlimme Konsequenzen noch abwenden. Unter Kanzler Kohl, der von seiner Mentalität her eher dem öffentlichen Sparkassenwesen als der großen Welt globaler Finanzen zugeneigt war, wagten die Vertreter der Privatbanken sich nicht so recht aus der Deckung.
    Das änderte sich. Kohl wurde bekanntlich 1998 abgewählt. Der Euro kam, globales Denken und Kapitalmarktderegulierung waren angesagt. Die Privatbanken forderten die sofortige Abschaffung der Gewährträgerhaftung; Sparkassen- und Landesbankvertreter sowie regional verwurzelte Politiker hielten dagegen. Ein zähes Ringen begann. Und fast jedes zähe Ringen in solchen Kreisen führt zu einem mehr oder weniger faulen Kompromiss.
    Die staatlichen Garantien wurden nicht zügig abgeschafft; auch gab es keine sofortige Mengenbegrenzung. Vielmehr wurde 2001 festgelegt, dass sich die Landesbanken noch genau fünf Jahre lang mit Mitteln am freien Kapitalmarkt versorgen konnten, für die der jeweilige staatliche Träger geradestand. Diese nicht gerade eng bemessene Frist nutzten die Landesbanken weidlich aus. Nach Schätzungen von Experten deckten sie sich bis zum Ende der Frist noch mit insgesamt ca. 400 Milliarden Euro an quasi-subventioniertem Geld ein. Unterstellt man einen durchschnittlichen Zinsvorteil staatlich garantierter Anleihen gegenüber Anleihen eines guten A-Ratings von beispielsweise 0,5 Prozent, ergibt sich eine Subvention in Höhe von 2 Milliarden Euro jährlich.
    Die Landesbanken besorgten sich vor allem zur Mitte des letzten Jahrzehnts hin also in aller Eile noch sehr viel Geld. Sie mussten mit dieser Extraportion jedoch noch schleunigst etwas anstellen. Eine Expansion beim normalen Bankgeschäft mit Privat- und Geschäftskunden war schwierig geworden, denn hier hatten Sparkassen, Volksbanken und Privatbanken ihre Claims schon abgesteckt. Mit anderen Worten: WestLB und Co. hatten zwar Geld, aber kein vernünftiges Geschäftsmodell. Die WestLB taumelte von einem Verlustgeschäft zum nächsten und wurde 2012 schließlich zerschlagen. Die Sachsen LB verspekulierte sich mit fragwürdigen Kreditverbriefungsgeschäften (vgl. → Conduits ) und wurde von der Landesbank Baden-Württemberg übernommen, die Bayrische Landesbank verstrickte sich tief in die Affäre um den überteuerten und unsinnigen Kauf der österreichischen Hypo Alpe Adria.
    Die prekäre

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