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Das Kultur-Spiel

Das Kultur-Spiel

Titel: Das Kultur-Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
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entwickeln.
    Jeder andere Spieler, der sein Gegner gewesen war, hatte unbewusst versucht, sich diesem neuartigen Stil zu dessen Bedingungen anzupassen, und hatte auf der ganzen Linie versagt. Nicosar tat nichts dergleichen. Er hatte den anderen Weg eingeschlagen und das Brett zu seinem Kaiserreich gemacht, vollständig und genau in jedem strukturellen Detail bis an die Grenzen, die der Maßstab des Spiels ihm auferlegte.
    Es überwältigte Gurgeh. Die Erkenntnis explodierte in ihm, als verwandele sich ein langsamer Sonnenaufgang in eine Nova, als werde ein Tröpfeln des Verstehens zu einem Bach, einem Fluss, einer Sturzflut, einem Tsunami. Seine nächsten paar Züge waren automatisch, reine Reaktionen, keine gründlich durchdachten Teile seiner Strategie, so begrenzt und unzureichend sie gewesen sein mochte. Sein Mund war trocken, seine Hände zitterten.
    Natürlich, das war es, was ihm entgangen war, das war die verborgene Facette. So zu Tage liegend, dass alle sie sehen konnten, war sie praktisch unsichtbar, zu offenkundig für Worte oder Verstehen. Es war so einfach, so elegant, so umwerfend ehrgeizig, aber so durch und durch praktisch und so völlig das, worum es in Nicosars Augen bei dem Spiel überhaupt ging.
    Kein Wunder, dass der Kaiser versessen darauf gewesen war, gegen diesen Mann von der Kultur zu spielen, wenn er die ganze Zeit das hier im Sinn gehabt hatte!
    Sogar die Einzelheiten, die nur Nicosar und eine Hand voll anderer im Imperium über die Kultur, ihre wahre Größe und ihre Ausdehnung wussten, waren vorhanden, wurden auf dem Brett gezeigt, waren aber wahrscheinlich für diejenigen, die es nicht schon wussten, unentzifferbar.
    Es lag etwas Skrupelloses in der Art, wie der Kaiser seine eigenen Figuren und die seines Gegners behandelte. Gurgeh kam es fast wie Hohn vor, wie eine Taktik, die ihn verwirren sollte. Der Kaiser schickte Figuren mit einer freudigen Unbarmherzigkeit in den Tod, wenn Gurgeh sich an seiner Stelle zurückgehalten und versucht hätte, vorzubereiten und aufzubauen. Wo Gurgeh kapituliert und eine Annexion akzeptiert hätte, verwüstete Nicosar.
    Der Unterschied war manchmal nur geringfügig – kein guter Spieler verschwendet Figuren sinnlos oder massakriert nur, weil es ihm Spaß macht –, aber die Brutalität lag allem stillschweigend zu Grunde; sie war da wie ein Geruch, ein Gestank, ein stiller Nebel, der über dem Brett hing.
    Gurgeh sah jetzt ein, dass er ganz in der von Nicosar wahrscheinlich erwarteten Art zurückgeschlagen hatte. Er hatte versucht, Figuren zu retten, vernünftige, wohlüberlegte, konservative Züge zu machen und in gewissem Sinn zu übersehen, wie Nicosar seine Figuren in die Schlacht jagte und seinem Gegner Landstreifen wie Fleischfetzen von den Rippen riss. In gewissem Sinne hatte Gurgeh sich verzweifelt bemüht, nicht gegen Nicosar zu spielen. Der Kaiser lieferte ihm ein raues, hartes, diktatorisches und häufig unelegantes Spiel und war von der richtigen Annahme ausgegangen, etwas in dem Kultur-Mann werde davon einfach nicht Teil sein wollen.
    Gurgeh begann, Inventur zu machen. Er wog die Möglichkeiten ab, während er noch ein paar weitere unzusammenhängende blockierende Züge machte, um sich Zeit zum Nachdenken zu verschaffen. Der Sinn des Spiels war zu gewinnen; das hatte er vergessen. Alles andere war unwichtig, und die einzige Barriere, die er zu umschiffen hatte, war von seinen eigenen Gefühlen errichtet worden.
    Er musste Nicosar eine Antwort geben, aber welche? Sollte er die Kultur werden? Ein zweites Kaiserreich?
    Er spielte bereits die Rolle der Kultur, doch das funktionierte nicht. Und wie kann man mit einem Kaiser an Kaiserlichkeit gleichziehen?
    Gurgeh stand auf dem Brett, trug seine etwas lächerlichen, zusammengesuchten Kleider und war sich seiner ganzen Umgebung nur von fern bewusst. Er bemühte sich, seine Gedanken für einen Augenblick von dem Spiel loszureißen, blickte sich in der großen Halle der Burg um, sah aus den hohen, offenen Fenstern auf den gelben Zunderpflanzen-Baldachin draußen, auf die halb vollen Sitzbänke, die kaiserlichen Leibwächter und die Schiedsrichter, auf die großen schwarzen hornförmigen Apparate direkt über ihm, die für die elektronische Abschirmung sorgten, auf die vielen Leute in ihren verschiedenen Kleidern und Aufmachungen. Alles wurde ins Spiel-Denken übersetzt, alles wie unter Einfluss einer wirksamen Droge betrachtet, die alles, was er sah, zu Entsprechungen ihres Klammergriffs um sein

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