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Das Kultur-Spiel

Das Kultur-Spiel

Titel: Das Kultur-Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
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haben Ihnen die Wahrheit gesagt, zwei Jahre. Intensiv, aber…«
    »Belügen Sie mich nicht, Gurgeh. Das hat keinen Sinn mehr.«
    »Nicosar, ich würde Sie nicht belügen.«
    Das Mondgesicht wurde langsam geschüttelt. »Wie Sie wünschen.« Der Kaiser schwieg für ein paar Augenblicke. »Sie müssen sehr stolz auf Ihre Kultur sein.«
    Er sprach das letzte Wort ›Kultur‹ mit einem Abscheu aus, den Gurgeh komisch gefunden hätte, wenn er nicht so offenkundig ernst gemeint gewesen wäre.
    »Stolz?«, erwiderte er. »Ich weiß nicht. Ich habe sie nicht gemacht; ich bin nur zufällig in sie hineingeboren worden. Ich…«
    »Spielen Sie nicht den Begriffsstutzigen, Gurgeh. Ich meine den Stolz, Teil von etwas zu sein. Den Stolz, Ihr Volk zu repräsentieren. Wollen Sie mir weismachen, Sie fühlten ihn nicht?«
    »Ich… etwas vielleicht, ja… aber ich bin nicht als Vertreter der Kultur hier, Nicosar. Ich repräsentiere nichts außer mir selbst. Ich bin gekommen, um an dem Spiel teilzunehmen, das ist alles.«
    »Das ist alles«, wiederholte Nicosar leise. »Nun, Wir müssen wohl sagen, dass Sie gut gespielt haben.« Gurgeh wünschte, er könne das Gesicht des Apex sehen. Hatte seine Stimme gebebt?
    »Ich danke Ihnen. Aber der Ruhm für dieses Spiel gehört zur Hälfte Ihnen… mehr als zur Hälfte, weil Sie damit begonnen haben…«
    »Ich will Ihr Lob nicht!« Nicosar schlug Gurgeh ins Gesicht. Die schweren Ringe rissen Gurgeh Wange und Lippen auf.
    Dieser fuhr zurück, sprachlos, schwindelig vor Schock. Nicosar sprang auf, stellte sich an die Brüstung, die Hände wie Klauen auf dem dunklen Stein. Gurgeh berührte sein blutiges Gesicht. Seine Hand zitterte.
    »Sie widern mich an, Morat Gurgeh«, sagte Nicosar zu dem roten Glühen im Westen. »Ihre blinde, geistlose Tugendhaftigkeit erklärt Ihren Erfolg hier nicht, und Sie behandeln das Kampfspiel wie einen schmutzigen Tanz. Es existiert, damit man sich dagegen wehrt, Sie aber haben versucht, es zu verführen. Sie haben es pervertiert, unser heiliges Zeugnis-Ablegen durch Ihre stinkende Pornographie ersetzt… Sie haben es beschmutzt… Sie Mensch.«
    Gurgeh tupfte sich das Blut von den Lippen. Er fühlte sich benommen; der Kopf drehte sich ihm. »Das… das mag sein – so, wie Sie es sehen, Nicosar.« Er schluckte dickes, salziges Blut hinunter. »Ich glaube nicht, dass Sie ganz gerecht gegenüber…«
    »Gerecht?«, schrie der Kaiser, baute sich vor Gurgeh auf und verdeckte das Glühen des fernen Feuers. »Warum muss irgendetwas gerecht sein? Ist das Leben gerecht?« Er griff Gurgeh ins Haar und schüttelte seinen Kopf. »Ist es gerecht? Ist es gerecht?«
    Gurgeh ließ es zu, dass der Apex ihn schüttelte. Der Kaiser gab ihn wieder frei und hielt seine Hand, als habe er etwas Schmutziges berührt. Gurgeh räusperte sich. »Nein, das Leben ist nicht gerecht. Nicht an sich.«
    Der Apex wandte sich in höchster Erregung ab, umklammerte von neuem die geschwungene Steinbrüstung der Zinne. »Aber wir können versuchen, es dazu zu machen«, fuhr Gurgeh fort. »Es ist ein Ziel, nach dem wir streben können. Man kann wählen, ob man das will oder nicht. Wir haben gewählt. Es tut mir Leid, dass Sie uns deswegen so abstoßend finden.«
    »›Abstoßend‹ wird dem, was ich für Ihre hoch geschätzte Kultur empfinde, kaum gerecht, Gurgeh. Ich bin mir nicht sicher, ob ich den Wortschatz besitze, um es Ihnen zu erklären. Ihr kennt keinen Ruhm, keinen Stolz, keine Verehrung. Ihr habt Macht; das habe ich gesehen, ich weiß, was ihr tun könnt… und trotzdem seid ihr impotent. Das werdet ihr immer sein. Die Unterwürfigen, die Kläglichen, die Ängstlichen und Eingeschüchterten… sie bestehen nur einige Zeit, ganz gleich, wie schrecklich und Furcht erregend die Maschine ist, in deren Innern sie herumkriechen. Am Ende werdet ihr fallen, und eure ganze glitzernde Maschinerie wird euch nicht retten. Die Starken überleben. Das lehrt uns das Leben, Gurgeh, das zeigt uns das Spiel. Kämpfe, um am Leben zu bleiben, um deinen Wert zu beweisen. Das sind keine hohlen Phrasen, das ist die Wahrheit!«
    Gurgeh sah, wie die blassen Hände den dunklen Stein umfassten. Was konnte er dem Apex sagen? Sollten sie hier und jetzt mit dem unvollkommenen Werkzeug der Sprache über Metaphysik diskutieren, während sie die letzten zehn Tage damit verbracht hatten, das perfekteste Bild ihrer im Widerstreit liegenden Philosophien zu schaffen, das sie, ganz gleich in welcher Form, überhaupt ausdrücken

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