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Das Kultur-Spiel

Das Kultur-Spiel

Titel: Das Kultur-Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
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erinnern, welcher Tag es war. Das Feuer musste bald da sein, oder nicht? Vielleicht heute Nacht, vielleicht morgen Früh. Vielleicht war es bereits vorübergezogen? Nein, das hätte sogar er gemerkt. Noch waren die Jalousien vor den großen hohen Fenstern des Hallenvorbaus nicht heruntergelassen. Man sah in die Dunkelheit hinaus, wo die riesigen Zunderpflanzen warteten, schwer von Früchten.
    Vorüber vorüber vorüber. Sein – ihr – schönes Spiel war vorüber, war tot. Was hatte er getan? Er presste die geballten Fäuste vor den Mund. Nicosar, du Narr! Der Kaiser war darauf hereingefallen, hatte den Köder angenommen, war in den Engpass hineingelaufen, um vor der Tribüne zerrissen zu werden, Stürme von Splittern vor dem Feuer.
    Auch früher waren Reiche durch Barbaren gefallen, und zweifellos würde es weiterhin geschehen. Gurgeh wusste das alles aus seiner Kinderzeit. Kultur-Kinder lernen diese Dinge. Die Barbaren dringen ein und werden absorbiert, allerdings nicht immer. Manche Imperien gehen unter, aber viele nehmen die Barbaren auf und integrieren sie am Ende. Sie veranlassen sie, so zu leben, wie die Leute, die sie ursprünglich besiegen wollten. Die Architektur des Systems leitet sie auf einen bestimmten Kurs, betört sie, verführt sie und wandelt sie um, verlangt etwas von ihnen, das sie vorher gar nicht hätten geben können, doch langsam lernen sie es. Das Reich überlebt, die Barbaren überleben, aber das Reich ist nicht mehr das alte, und die Barbaren sind nirgendwo mehr zu finden.
    Die Kultur war das Imperium geworden; das Imperium stellte die Barbaren dar. Nicosar blickte triumphierend drein. Überall hatte er seine Figuren, die das, was sie fanden, sich anpassten und veränderten und töten wollten. Aber sie selbst veränderten sich, wurden getötet. Sie konnten nicht überleben als das, was sie waren, war das nicht offensichtlich? Sie würden zu Gurgehs Figuren werden oder neutrale Figuren, und nur durch Gurgeh konnten sie eine Wiedergeburt erfahren. Vorüber.
    Gurgeh stieg ein Prickeln in die Nase. Er lehnte sich zurück, überwältigt von Traurigkeit über das Ende des Spiels, und wartete auf die Tränen.
    Es kamen keine. Eine verdiente Rüge von seinem Körper, dass er die Elemente so gut benutzte und so viel Wasser verbrauchte. Er würde Nicosars Angriffe ertränken; der Kaiser spielte mit Feuer und würde ausgelöscht werden. Keine Tränen für ihn.
    Etwas verließ Gurgeh, verebbte einfach, brannte aus, löste den Griff, in dem er gehangen hatte. Die Halle war kalt, gefüllt mit einem schwachen Duft und dem Rascheln des Zunderpflanzen-Baldachins vor den hohen, breiten Fenstern. Auf den Galerien unterhielten die Leute sich leise.
    Gurgeh hielt Umschau und entdeckte Hamin auf den Kolleg-Plätzen. Der alte Apex wirkte geschrumpft und puppenhaft, die kleine, welke Hülle dessen, was er gewesen war, das Gesicht verrunzelt, der Körper missgestaltet. Gurgeh starrte ihn an. War das eines ihrer Gespenster? War Hamin die ganze Zeit da gewesen? Lebte er noch? Es war, als starre der unerträglich alte Apex unverwandt auf den Mittelpunkt des Brettes, und einen absurden Augenblick lang glaubte Gurgeh, das Geschöpf sei bereits tot, und man habe seinen ausgetrockneten Körper als eine Art Trophäe, als eine letzte Beschimpfung in die Halle gebracht.
    Dann verkündete das Horn das Ende der abendlichen Sitzung, und zwei kaiserliche Leibwächter kamen und rollten den sterbenden Apex hinaus. Der geschrumpfte, grau gewordene Kopf sah kurz in Gurgehs Richtung.
    Gurgeh kam sich vor, als sei er irgendwo weit weg gewesen, auf einer langen Reise, von der er soeben zurückgekehrt war. Er sah zu Nicosar hin, der sich mit zweien seiner Ratgeber besprach. Die Schiedsrichter notierten die letzten Positionen, und die Zuschauer auf den Galerien standen auf und begannen zu plaudern. Bildete er sich ein, dass Nicosar beunruhigt, sogar besorgt dreinblickte? Vielleicht. Plötzlich empfand Gurgeh großes Mitleid mit dem Kaiser, mit ihnen allen, mit jedem Einzelnen.
    Er seufzte, und es war wie der letzte Atemzug eines gewaltigen Sturms, der ihn durchtobt hatte. Er streckte seine Arme und Beine, stand wieder auf. Er betrachtete das Brett. Ja, vorüber. Er hatte es geschafft. Es gab noch viel zu tun, es würde noch eine Menge geschehen, aber Nicosar würde verlieren. Der Kaiser hatte die Wahl, ob er nach vorn fallen und absorbiert werden oder zurückweichen und übernommen werden, ob er Amok laufen und alles abräumen und

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