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Das Kultur-Spiel

Das Kultur-Spiel

Titel: Das Kultur-Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
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Seine Lippen bewegten sich und fabrizierten so etwas wie ein Lächeln. Er griff in eine der Taschen seiner schlabberig weiten Hose und brachte eine kleine schwarze Pistole zum Vorschein. Er richtete sie auf den Ethnarchen und sagte: »Dein Kode funktioniert nicht, Ethnarch Kerian. Es wird keine Überraschungen geben.
    Das Sicherheitszentrum im Erdgeschoss ist ebenso tot wie alles andere.«
    Der Ethnarch Kerian starrte die kleine Waffe an. Er hatte Wasserpistolen gesehen, die mehr Eindruck machten. Was geht hier vor? Sollte er wirklich gekommen sein, um mich umzubringen? Der Mann war bestimmt nicht wie ein Meuchelmörder gekleidet, und jeder ernsthafte Attentäter hätte ihn mit Sicherheit im Schlaf umgebracht. Je länger der Bursche dort saß und redete, desto mehr brachte er sich in Gefahr, ob er nun die Verbindungen zum Sicherheitszentrum gekappt hatte oder nicht. Also war er vielleicht ein Wahnsinniger, aber gewiss kein Mörder. Es war einfach absurd, dass sich ein echter, professioneller Meuchelmörder so benehmen sollte, und nur einem außerordentlich fähigen und absolut professionell arbeitenden Attentäter wäre es gelungen, die Sicherheitssysteme des Palastes zu umgehen… Auf diese Weise versuchte der Ethnarch Kerian sein plötzlich wild schlagendes, rebellisches Herz zu beruhigen. Wo blieben nur die verdammten Wachleute? Er dachte wieder an die Pistole, die in dem geschnitzten Kopfbrett hinter ihm verborgen war.
    Der junge Mann verschränkte die Arme, sodass die kleine Pistole nicht mehr auf den Ethnarchen gerichtet war.
    »Hast du etwas dagegen, dass ich dir eine kleine Geschichte erzähle?«
    Er muss wahnsinnig sein! »Nein, nein, erzähl mir ruhig eine kleine Geschichte«, sagte der Ethnarch in seinem freundlichsten und onkelhaftesten Ton. »Übrigens, wie heißt du eigentlich? Offenbar hast du mir einiges an Wissen voraus.«
    »Ja, das habe ich, nicht wahr?«, kam die alte Stimme über die jungen Lippen. »Genau genommen sind es zwei Geschichten, aber den größten Teil der einen kennst du bereits. Ich erzähle sie gleichzeitig; wir wollen mal sehen, ob du unterscheiden kannst, welche welche ist.«
    »Ich…«
    »Pscht«, sagte der Mann und legte sich die kleine Pistole an die Lippen.
    Der Ethnarch warf einen Seitenblick zu dem Mädchen auf der anderen Seite des Bettes. Ihm wurde bewusst, dass er und der Eindringling in ziemlich gedämpfter Lautstärke gesprochen hatten. Wenn er das Mädchen aufwecken würde, könnte es den Fremden vielleicht in seinen Bann ziehen oder zumindest so lange seine Aufmerksamkeit ablenken, bis er sich die Pistole aus dem Kopfbrett gegriffen hatte; er war so schnell wie seit zwanzig Jahren nicht mehr, dank der neuen Behandlung… Wo, zum Teufel, blieben nur die Wachleute?
    »Jetzt hör mal zu, junger Mann!«, brüllte er. »Ich möchte bloß mal wissen, was du dir einbildest! He?«
    Seine Stimme – eine Stimme, die ohne Verstärker ganze Säle und Plätze gefüllt hatte – hallte im Raum wider. Verdammt, sogar die Wachleute im Sicherheitszentrum im Erdgeschoss müssten ihn jetzt gehört haben, auch ohne Mikrofone. Das Mädchen auf der anderen Seite des Bettes regte sich nicht.
    Der junge Mann feixte. »Sie schlafen alle fest, Ethnarch. Es gibt nur dich und mich. Also, jetzt zu der Geschichte…«
    »Was…?«, fragte der Ethnarch Kerian mit erstickter Stimme, während er die Beine unter der Decke anzog. »Was willst du hier?«
    Die Miene des Eindringlings drückte gelindes Erstaunen aus. »Oh, ich bin hier, um dich abzuholen. Du sollst entfernt werden. Also…« Er legte die Pistole auf den oberen Rand des Fußbrettes. Der Ethnarch starrte sie an. Sie war zu weit entfernt, als dass er sie hätte packen können, aber…
    »Die Geschichte«, sagte der Eindringling und lehnte sich auf dem Stuhl zurück. »Es war einmal, in weiter Ferne, auf der anderen Seite des Gravitationsschachtes, ein Zauberland, wo es keine Könige, keine Gesetze, kein Geld und keinen Besitz gab, wo jedoch jeder wie ein Prinz lebte, alle ein Wohlverhalten an den Tag legten und es niemandem an etwas mangelte. Die Leute lebten in Frieden, doch sie langweilten sich, denn das konnte das Dasein im Paradies nach einer gewissen Zeit mit sich bringen, und deshalb fingen sie an, zur Vollbringung guter Taten auszuschwärmen, sozusagen Wohltätigkeitsbesuche bei den weniger Begünstigten durchzuführen; und immer waren sie bestrebt, das mitzubringen, was sie als das wertvollste aller Geschenke ansahen: Wissen und

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