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Das Kultur-Spiel

Das Kultur-Spiel

Titel: Das Kultur-Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
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sein mochte, immer dieselbe Aussicht und dasselbe Wetter zu haben. Sie öffneten die wackelige Tür und schnupperten die dunkle, verrauchte, nach Mensch riechende Luft in der Hütte; dann schlossen sie die Tür schnell wieder und erklärten, dass es nur ungesund sein konnte, andauernd am selben Ort zu leben, mit der Erde verbunden. Insekten. Fäulnis. Abgestandene Luft.
    Er nahm keine Notiz von ihnen. Er beherrschte ihre Sprache, doch er tat so, als verstünde er sie nicht. Er wusste, dass die in ständigem Wandel begriffene Bevölkerung der Parkstadt im Landesinneren ihm den Namen Baum-Mann gegeben hatte, weil ihnen die Vorstellung gefiel, er habe Wurzeln getrieben wie sein radloser Schuppen. Meistens war er sowieso nicht zu Hause, wenn sie zu seiner Hütte kamen. Er hatte festgestellt, dass sie das Interesse daran recht bald verloren; stattdessen gingen sie lieber an den Strand und kreischten, wenn ihre Füße nass wurden, sie warfen Steine in die Wellen und bauten kleine Autos in den Sand. Irgendwann fuhren sie wieder plappernd und krakeelend ins Landesinnere, mit blinkenden Scheinwerfern und heulenden Hupen, und ließen ihn wieder allein zurück.
    Ständig fand er tote Meeresvögel und alle paar Tage die angeschwemmten Kadaver der Meeressäugetiere. Strandgras und Seeblumen lagen verstreut auf dem Sand wie Partyreste und kräuselten sich – wenn sie trockneten – im Wind, zerfaserten und lösten sich schließlich ganz auf, um als leuchtende Wolken aus Farbe und Vergänglichkeit hinaus aufs Meer oder weit ins Land hinein geweht zu werden.
    Einmal fand er einen toten Seemann, der aufgedunsen und vom Meer umspült, mit angenagten Gliedmaßen am Strand lag; ein Bein bewegte sich in der trägen, schaumigen Brandung. Er stand da und betrachtete den Mann eine Zeit lang, dann leerte er die Segeltuchtasche, in der er sein Strandgut gesammelt hatte, zerriss sie zu einem flachen Tuch und deckte damit den Kopf und den oberen Teil des Rumpfes des Mannes sanft zu. Es herrschte Ebbe, deshalb zog er den Leichnam nicht weiter auf den Strand hoch. Er marschierte in die Parkstadt, ausnahmsweise nicht seinen kleinen Holzkarren mit gefundenen Schätzen vor sich herschiebend, und erstattete dem Sheriff Bericht.
    An dem Tag, als er den kleinen Stuhl fand, beachtete er diesen gar nicht, doch er war immer noch da, als er auf seinem Rückweg wieder am selben Stück Strand vorbeikam. Er ging weiter, und am nächsten Tag durchkämmte er den Sand in der anderen Richtung; er dachte, der Sturm in der folgenden Nacht würde den Stuhl entfernen, doch am nächsten Tag fand er ihn immer noch vor, und er nahm ihn mit. In seinem Schuppen reparierte er ihn mit Zwirn und fertigte aus einem angeschwemmten Ast ein neues Bein; dann stellte er ihn neben die Tür der Hütte, setzte sich jedoch nie drauf.
    Eine Frau pflegte alle fünf oder sechs Tage zur Hütte zu kommen. Er hatte sie in der Parkstadt kennen gelernt, kurz nach seiner Ankunft, am dritten oder vierten Tag einer ausgiebigen Sauf tour. Er bezahlte sie morgens und gab ihr immer mehr, als sie seiner Meinung nach erwartete, denn er wusste, dass ihr die seltsame stillstehende Hütte Angst machte.
    Sie erzählte ihm von ihren ehemaligen Liebhabern und alten Hoffnungen und neuen Hoffnungen, und er hörte ihr mit halbem Ohr zu, wohl wissend, dass sie dachte, er verstünde sowieso nicht richtig, was sie sagte. Wenn er sprach, geschah das in einer fremden Sprache, und seine Geschichte war noch unglaubwürdiger. Die Frau lag dicht an ihn geschmiegt da, den Kopf auf seine glatte, narbenlose Brust gebettet, während er in die dunkle Luft über dem Bett sprach, ohne dass seine Stimme in dem von dünnem Holz umgebenen Raum widerhallte; und er erzählte ihr, in Worten, die sie niemals verstehen würde, von dem Zauberland, wo jeder ein Magier und niemand je gezwungen war, schreckliche Entscheidungen zu treffen, und wo Schuld etwas beinah Unbekanntes war, und Armut und Entwürdigung Dinge waren, deren Bedeutung man den Kindern beibringen mussten, damit sie verstanden, wie glücklich sie waren, und wo keine Herzen gebrochen wurden.
    Er erzählte ihr von einem Mann, einem Krieger, der für die Zauberer gearbeitet hatte und jene Dinge erledigt hatte, die sie selbst nicht tun konnten oder zu denen sie sich nicht überwinden konnten, bis er schließlich nicht mehr für sie arbeiten konnte; denn im Laufe einer verbohrten persönlichen Unternehmung, mit der er sich von einer Last zu befreien gedachte, die er niemals

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