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Das Kultur-Spiel

Das Kultur-Spiel

Titel: Das Kultur-Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
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die Haut war wund. Er seufzte erneut und warf den Stoff weg.
    Er legte sich nicht wieder hin, da ihn das nur schläfrig und nachdenklich machte, und er wollte nicht schlafen, denn er hatte das Gefühl, dass er nie wieder aufwachen würde, und er wollte auch nicht nachdenken, denn das brachte ihn nicht weiter.
    Er drehte sich um und stellte sich an die Tür, die so weit geschlossen war wie möglich und dennoch halb offen stand. Regen platschte herein.
    Er dachte an die anderen. Die anderen Befehlshaber. Verdammt; der einzige andere, dem er traute, war Rogtam-Bar, und er war noch zu jung, um Verantwortung zu übernehmen. Er hasste es, in Lagen wie diese versetzt zu werden, sich in eine bereits eingefahrene Befehlsstruktur hineinfinden zu müssen, wo gewöhnlich Korruption und Vetternwirtschaft herrschten und wo er so viele Aufgaben selbst übernehmen musste, dass jede Unaufmerksamkeit, jedes Zögern, selbst jede Ruhepause den Hohlköpfen ringsum, die keinen blassen Schimmer hatten, die Gelegenheit gab, die Karre noch tiefer in den Dreck zu fahren. Aber andererseits, sagte er sich, welcher General war jemals vollkommen glücklich über den Befehl, den er übernahm?
    Auf jeden Fall hatte er ihnen nicht ausreichende Anweisungen hinterlassen; ein paar wahnwitzige Pläne, die höchstwahrscheinlich niemals Erfolg bringen würden; sein Bestreben, Waffen einzusetzen, deren Auswirkungen nicht voraussehbar waren. Doch das meiste war noch im Innern seines Kopfes. An jenem ganz persönlichen Ort, von dem er wusste, dass ihn nicht einmal die Kultur untersuchen würde, wenn auch nur wegen ihrer verschrobenen hohen Ansprüche, nicht aus Unfähigkeit…
    Er vergaß die Frau vollkommen. Es war, als ob sie gar nicht existierte, wenn er sie nicht ansah, als ob ihre Stimme und ihr Bemühen, sich von den Fesseln zu befreien, die Folgen einer absurden übernatürlichen Materialisation wären.
    Er öffnete die Tür des kleinen Hauses weit. Man konnte im Regen alles Mögliche sehen. Die einzelnen Tropfen wurden durch die Trägheit des Auges zu Streifen; sie verschmolzen und lösten sich wieder und bildeten Geheimzeichen für die Formen, die man in sich selbst barg; man sah sie keinen Herzschlag lang, und sie währten ewig.
    Er sah einen Stuhl und ein Schiff, das kein Schiff war; er sah einen Mann mit zwei Schatten, und er sah das Unsichtbare; einen Gedanken, den anpassungsfähigen, selbstsüchtigen Drang zu überleben, alles Erreichbare auf diesen Zweck auszurichten und zu entfernen und hinzuzufügen und zu zerschlagen und zu erschaffen, damit eine spezielle Anhäufung von Zellen erhalten bleiben, sich weiterhin bewegen und entscheiden könnte, und wenn sich dieses Wesen weiterhin bewegt und weiterhin entscheidet, dann weiß es – wenn nichts anderes –, dass es wenigstens lebt.
    Und es hatte zwei Schatten, es war zwei Dinge; es war das Bedürfnis, und es war die Methode. Das Bedürfnis war eindeutig; niederzuschlagen, was sich seinem Leben entgegenstellte. Die Methode war dieses Einsetzen und Ausrichten von Materie und Menschen für diesen einen Zweck, das Trachten danach, dass alles in dem Kampf eingesetzt werden konnte, dass nichts ausgeschlossen blieb, dass alles zur Waffe wurde, und die Fähigkeit der Handhabung dieser Waffen, sie aufzutreiben und die richtigen zum Zielen und Feuern auszuwählen; diese Begabung, diese Fähigkeit, dieser Umgang mit Waffen.
    Ein Stuhl und ein Schiff, das kein Schiff war, ein Mann mit zwei Schatten und…
    »Was hast du mit mir vor?« Die Stimme der Frau bebte. Er drehte sich zu ihr um.
    »Ich weiß nicht; was meinst du?«
    Sie sah ihn voller Entsetzen mit weit aufgerissenen Augen an. Offenbar holte sie Luft für einen weiteren Schrei. Er begriff ihre Reaktion nicht; er hatte ihr eine vollkommen normale, sachliche Frage gestellt, und sie benahm sich, als hätte er gesagt, dass er sie töten werde.
    »Bitte nicht! O bitte nicht, o bitte nicht, o bitte nicht!«, schluchzte sie wieder, diesmal ohne Rotz.
    »Was nicht?« Er war ratlos.
    Sie schien ihn nicht zu hören; sie saß nur zusammengesackt da, und ihr schlaffer Körper zuckte bei jedem Schluchzer.
    In Augenblicken wie diesem war er am Ende seines Verstehens; er begriff einfach nicht, was sich in den Gemütern der Leute abspielte; sie verweigerten sich, waren unfassbar. Er schüttelte den Kopf und fing an, im Zimmer herumzugehen. Es roch schlecht und war feucht. Das hier war immer ein Loch gewesen. Wahrscheinlich hatte irgendein Analphabet einmal hier

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